Vom Entstehen und Wirken von Männlichkeitsbildern im Patriarchat

Männlichkeit – was ist das eigentlich? Ein Begriff, der polarisiert und für jede Menge Gesprächsstoff sorgt. Zwischen belustigten, wütenden und interessierten Reaktionen habe ich alles erlebt. Erst recht, wenn es darum ging, wie meine Bachelorarbeit über Männlichkeit bitte (nicht) auszusehen haben solle – bevor überhaupt geklärt wurde, worum es mir eigentlich ging. Also, wird anstrengend, aber gerade deswegen wichtig, dachte ich mir! 

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Männer sind privilegiert: Im patriarchalen System der westlichen Welt besetzen sie die meisten Führungspositionen in Politik und Wirtschaft, verdienen mehr, übernehmen weniger Care-Arbeit und genießen größere gesellschaftliche Autorität und Ansehen. Geht es um Gewalttaten oder Sexualdelikte, wird längst nicht mehr hinterfragt, warum der Täter wieder ein Mann war – der Fakt ist schon normal. Viel interessanter scheint seine Herkunft. Als Frau mit Männern in meinem direkten Umfeld – Vater, Bruder, Freunde, Mitbewohner, Kollegen – habe ich beobachtet, wie stark solche Rollenbilder unser Verhalten prägen. Feministische Literatur hat mir geholfen, meine eigene Rolle zu reflektieren. 

Doch ich stellte fest: Räume zur ehrlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht gibt es für Männer deutlich seltener. Dabei unterliegen doch auch Männer einschränkenden Geschlechterbildern, die ihren Preis fordern: Ein „echter Mann“ soll stark, rational, kontrolliert, dominant und am besten weiß und heterosexuell sein – für Schwäche ist darin kein Platz.

In feministischen Debatten erscheinen Männer oft ausschließlich als Täter – aus eben genannten nachvollziehbaren Gründen. Aber warum richten wir nicht mehr Aufmerksamkeit auf die Ursachen dieser Dynamiken – auf männliche Sozialisation und die vielfach fehlende Fähigkeit, Gefühle jenseits von Wut zu benennen, zu zeigen und zu verarbeiten? Statt Symptome zu behandeln, möchte ich den Blick auf die Wurzeln richten – und damit profeministische Bewegungen unterstützen, die nicht im Geschlechterkrieg enden, sondern in gemeinsamer Arbeit gegen das Patriarchat. Denn es betrifft uns alle.

Recherche

Ich begann mit einer intensiven Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung von Männlichkeitsbildern – vom Mittelalter über die Industrialisierung bis zur heutigen Unsicherheit zwischen „toxisch“ und „modern sensibel“. Besonders spannend war für mich, wie stark sich Männlichkeit wandelt – und gleichzeitig, wie zäh manche Vorstellungen bis heute überdauern.

Prozess

Was ist dran all dem, was ich gelesen habe? Ich sprach mit ganz unterschiedlichen Menschen: Männern verschiedenster Herkunft, Altersgruppen und Lebensrealitäten, FLINTA-Personen und Expert:innen aus der Männerberatung. Ich entwickelte eine Kreativaufgabe, leitete Workshops, führte Interviews – und sammelte unfassbar viel Material.

Gestaltung

Mir war wichtig, keine plakativen, abgenutzten Bilder zu zeigen. Kein Pink aus Prinzip, kein Andrew Tate aus Provokation – ich wollte etwas Eigenes. Der Scherenschnitt bot mir genau das: eine grafisch starke, symbolisch offene Form, die zugleich verspielt, scharf und ungewohnt wirkt. Ich entwickelte eine eigene Font und Bildsprache. Der Einsatz von unlackiertem Stahl unterstreicht das Thema durch seine Härte, Kälte und Verletzlichkeit – wie Männlichkeit selbst.

Die Ausstellung

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Ich entschied mich für ein analoges Format, weil es echten Raum für Begegnung schafft. Im Pluspunkt Dessau konnte ich sechs Räume gestalten: Von der Historie über breit diskutierte Social-Media-Beiträge, eine metallene Skulptur zum modernen Zwiespalt, Zitate aus meiner Umfrage, einem auditiven Raum mit Scherenschnitten bis zum Reflexionsraum mit Bar. Die Ausstellung wurde sehr positiv aufgenommen – besonders, weil sie offen, differenziert und nicht belehrend wirkte.

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Der Flyer to Go – als Leitfaden durch die Ausstellung aber auch als unabhängigen Lesestoff.

Das Mobile

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Nach dem Bachelor wollte ich vor allem den Audio-Raum weiterdenken – er war der emotionalste Teil der Ausstellung. Ich entwickelte ein Mobile aus Stahl, das an Kindheit erinnert, aber in dieser Version scharfkantig, bedrohlich und unbequem ist. Daran hängen ausgeschnittene Männlichkeitsbilder – Muskeln, Bart, Bierflasche. Durch Licht wirft es große Schatten. In der Mitte des Raums lädt es zum Verweilen ein, während Männerstimmen über Männlichkeit sprechen.

Bisher ist ein kleiner Testshot entstanden, wie das Lichtspiel im Raum wirken könnte für eine Ausstellung oder für ein Video, unterlegt von den Erzählungen der Personen über Männlichkeit.

Epilog

Am Ende kann ich sagen, dass ich sehr froh bin, mich für ein gesellschaftlich relevantes, aktuelles und soziales Thema entschieden zu haben. Es hat mir erneut gezeigt, dass ich als Designerin vor allem mit Menschen, Geschichten und Verbindungen arbeiten möchte. Der soziale Aspekt erfüllt mich – und es war bereichernd zu erleben, wie viele Gespräche mein Projekt angestoßen hat. Eine relativ große Ausstellung eigenständig auf die Beine gestellt zu haben, fühlt sich im Rückblick ziemlich stark an. Und um mich nicht – ganz im Sinne von „toxisch feminin“ – kleinzureden, möchte ich auch sagen: Ja, ich bin wirklich stolz auf mein Endergebnis. Ich habe das Gefühl, in diesen Monaten alles gegeben zu haben, was für mich möglich war. 

Trotzdem muss ich sagen: Spaß hat es mir nicht immer gemacht. Die Freiheit, meinen eigenen Rhythmus zu gestalten, war anstrengend – mir fehlten feste Routinen, der Austausch mit anderen, gemeinsame Deadlines. Ich habe es einerseits genossen, meine eigene Chefin zu sein, andererseits fühlte ich mich oft allein. Und irgendwann konnte ich meinen Gedankenstrudel nicht mehr stoppen – ich sammelte zu viele neue Infos, zu viele Dialogfetzen und Meinungen und manchmal wünschte ich mir einfach mal wieder ein anderes Thema als Männer… Aber ich war natürlich nicht allein. Ein riesiges Danke geht an meine Freund:innen – und ihre Autos! – für ihre Unterstützung und den Support, auch wenn ich immer genervt auf die Antwort reagierte, wie es gerade mit dem Bachelor läuft. Jetzt kann ich sagen: Lief gut :) 

Der Abstand zu all dem hat mir gutgetan - ich bin motiviert, das Mobile samt der Audioaufnahmen weiterzuentwickeln und in andere Räume zu bringen. Und was mich gleichzeitig gequält und bestätigt hat: Ich mag keine langen Theorietexte – ich bin keine Wissenschaftlerin. Wie gut hat es sich angefühlt hat, endlich wieder zu gestalten, die kleinen Scherenschnitte zu basteln, Stahl lasern zu lassen, die Ausstellung aufzubauen… einfach ins Machen kommen, ja, richtige Berufung gewählt!