Chindōgu

Chindōgu  
珍道具 

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„seltsames Gerät“  
„merkwürdiges Werkzeug“

Absurde Alltagsobjekte, die scheinbar ein Problem lösen – dabei aber so unpraktisch, übertrieben oder sozial inakzeptabel sind, dass sie letztlich nicht wirklich brauchbar sind.

10 Gebote

Nicht jeder nutzlose Gegenstand ist gleichzeitig auch ein Chindōgu. Kenji Kawakami (der Erfinder von Chindōgu) legte 10 Gebote fest, die erfüllt werden müssen. Erfüllt das Objekt nicht alle dieser Gebote verliert es seinen Status als Chindōgu.

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1. Ein Chindōgu darf nicht wirklich brauchbar sein.


2. Ein Chindōgu muss existieren.


3. Jedem Chindōgu wohnt der Geist der Anarchie inne.


4. Chindōgu sind Hilfsmittel für den Alltag.


5. Chindōgu dürfen nicht verkauft werden.


6. Humor darf nicht der einzige Grund für ein Chindōgu sein.


7. Chindōgu sind keine Propaganda.


8. Chindōgu überschreiten niemals Tabugrenzen.


9. Chindōgu dürfen nicht patentiert werden.


10. Chindōgu sind vorurteilsfrei.


Die 10 Gebote bilden einen klaren Rahmen, innerhalb dieses Rahmens, kann Chindōgu theoretisch alles sein, solange es sich an die 10 Gebote hält. Das hört sich paradox und widersprüchig an, du darfst alles, kannst alles sein, solange du dich an die Regeln hältst.

Paradoxon

Die 10 Gebote bilden einen klaren Rahmen, innerhalb dieses Rahmens, kann Chindōgu theoretisch alles sein, solange es sich an die 10 Gebote hält. Das hört sich paradox und widersprüchig an, du darfst alles, kannst alles sein, solange du dich an die Regeln hältst.

weitere Paradoxons

Wendepunkt

Chindōgu bewegen sich auf einem hauchdünnen Grat – einem kreativen Seilakt zwischen funktionalem Nutzen und völliger Absurdität. Sie imitieren eine Lösung, schaffen aber in Wahrheit nur etwas Chaos. Das Herz von Chindōgu pocht Paradox:

Es will nützlich sein – aber nicht zu sehr. Es könnte nützlich sein – untersagt es mir jedoch. Es darf nicht beliebig sein – und dennoch nicht funktionieren. Es muss existieren – aber darf nicht verwendet werden. Es wird nicht rein aus Spaß gemacht – und bringt uns doch zum Lachen. Es befreit uns vom Zweck – indem es vorgibt, einem Zweck zu dienen.

Nur in diesem paradoxen „Sweet Spot“ entfaltet das Chindōgu seine Wirkung. Es verführt uns durch eine scheinbare Problemlösung und wenn wir erkennen, dass der Aufwand zu groß, die Anwendung peinlich oder das Ergebnis schlimmer ist als der ursprüngliche Missstand, dann stößt es uns wieder weg. Würde das Chindōgu wirklich nützlich sein, verliert es seine Identität. Wäre es hingegen völlig beliebig oder bloß ein Gag, wäre es kein Chindōgu, sondern bloßer Klamauk, ein Scherzartikel.

Chindōgu sind ernstgemeinte Fehlschläge. Sie bieten eine Bühne für kreatives Scheitern, das uns zum Lachen bringt und gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Nicht über das Objekt oder das Problem allein, sondern über uns selbst, über unsere Designreflexe, unsere Konsumgewohnheiten, unser absurdes Verhältnis zur Effizienz.

Natürlich begann ich, eigene Chindōgu-Konzepte zu entwickeln, wie den Kakao Beutel, einen Regenschirm-Aufsatz für den Duschkopf, die Bügel-Maus, den Fahrrad Schneeschieber … Keine wirklichen Chindōgu – denn laut Regel Nr. 2 des Manifests gilt: „Es muss physisch existieren.“ [19, S. 8–9] Aber selbst die gedankliche Auseinandersetzung hatte für mich ihren Reiz: Chindōgu denken, spinnen, verdrehen. Doch je tiefer ich mich mit den Regeln und dem dahinterliegenden Paradoxon beschäftigte, desto mehr blieb ich gedanklich stecken.

Das Chindōgu existiert, um seiner selbst zu genügen – aber das reicht mir nicht. Ich will wissen, ob darin nicht mehr steckt. Chindōgu nimmt sich viele Freiheiten, warum also nicht auch die Freiheit, einem Zweck zu dienen, ohne dabei sein Herz zu verlieren?

Chindōgu Ideen

Bilder teilweise mit KI generiert.

Vergleich

Um Chindōgu besser verstehen und ihren Mehrwert herausarbeiten zu können, begann ich damit, die in Kawakamis Buch enthaltenen Beispiele zu analysieren und in Kategorien zu clustern:

  • Ästhetisch absurd
  • Ironische Design-Parodie
  • Hyper-Spezialisierung
  • Pseudo-Funktionalität
  • Over-Engineering

Durch diese Kategorisierung stellte ich fest, dass einige Chindōgu gegen Regeln verstoßen, die sie eigentlich erst als Chindōgu definieren. Streng genommen verlieren sie dadurch ihren Status als „echte“ Chindōgu. Außerdem fand ich sogenannte „infizierte“ Chindōgu – also Objekte, die kommerzialisiert wurden und dadurch vom Kapitalismus vereinnahmt sind. Sie können daher nicht mehr als „rein“ gelten.

Kulturell betrachtet entdeckte ich zudem, dass Regenschirme hervorragende Bestandteile von Chindōgu sind – nicht zuletzt, weil sie in Japan eine besonders große Bedeutung haben.

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Die Analyse zeigt: Chindōgu sind mehr als bloße Spielerei. Sie sind eine Form von Designkritik – mal explizit, mal subtil. Auch wenn viele Objekte heute funktionalisiert oder vermarktet wurden, bleibt die ursprüngliche Geste spürbar: Ein absurdes Objekt kann eine stille, aber wirksame Form von Protest sein.

Die zehn Gebote sind dabei kein starres Regelwerk, sondern ein Gerüst, das sich bewusst übertreten lässt. Nicht jede Regelverletzung ist ein Verlust. Manchmal entsteht gerade daraus eine neue Qualität: eine irritierende Klarheit, eine komische Wahrheit.

Besonders Gebot 7 – „Keine Botschaft“ – erscheint paradox. Denn viele Chindōgu haben genau diese Kraft.

Sie kommentieren, übertreiben, stören – und vermitteln dadurch sehr wohl eine Botschaft. Keine direkte, aber eine, die zwischen den Zei len sichtbar wird. Genau hier beginnt die gestal terische Relevanz, die für mich zur Grundlage von Neo Chindōgu wird.


Design stören?

Nach der systematischen Analyse der Chindōgu stellt sich die Frage, wie sich diese eigensinnigen Objekte im Verhältnis zu etablierten Designprinzipien verorten lassen. Chindōgu ist formal, funktional und kommunikativ radikal eigenwillig – es widerspricht nahezu allem, was klassisch als „gutes Design“ gilt. Gerade das macht es so spannend: Denn erst im Kontrast zu vertrauten Gestaltungsmaßstäben wird deutlich, welches kritische Potenzial in dieser scheinbar naiven Nutzlosigkeit steckt.

In diesem Kapitel konfrontiere ich Chindōgu bewusst mit unterschiedlichen Designtheorien und -haltungen – von Donald Normans benutzerzentrierter Usability über Dieter Rams’ funktionalistische Designethik bis hin zu den spekulativen, affektiven oder widersprüchlichen Perspektiven von Alan Moore und Sianne Ngai. Diese Positionen wurden bewusst gewählt, da sie exemplarisch für zentrale Haltungen innerhalb des Designs stehen: Funktionalität, Reduktion, Verständlichkeit – aber auch Überforderung, Überzeichnung und ästhetisches Irritationspotenzial.

Durch diese Gegenüberstellung wird sichtbar, wo Chindōgu bestehende Muster nicht nur verletzt, sondern mit ironischer Konsequenz umdreht – und damit als kritisches Werkzeug taugt, um festgefahrene Vorstellungen von Gestaltung zu hinterfragen. Ziel ist dabei nicht, Chindōgu als Alternative zum guten Design zu etablieren – sondern es als Störung zu begreifen, die produktiv macht: ein Nadelstich gegen den Zweck, eine Lachfalte im Raster der Rationalität.

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Chindōgu widerspricht fast allem, was in der Designpraxis als wünschenswert gilt – Benutzerfreundlichkeit, Klarheit, Effizienz, Sinn. Diese Brüche sind es, die den Reiz ausmachen. Chindōgu unterwandert die Prinzipien des „guten Designs“ nicht aus Unwissen, sondern als bewusstes Spiel mit Erwartung, Funktion und Form.

Im Vergleich mit Donald Norman, Dieter Rams, Alan Moore oder Sianne Ngai wird deutlich, wie Chindōgu vertraute Maßstäbe auf den Kopf stellt – mal als Störung, mal als Spiegel, mal als Überzeichnung. Es ist kein Gegenentwurf im klassischen Sinn, sondern eine performative Kritik: ein nutzloses Objekt, das funktionale Systeme ins Stolpern bringt – und gerade dadurch zum Denken anregt.

So verstanden heißt Design stören nicht zerstören – sondern öffnen. Für Fragen, für Zweifel, für Humor.

Dabei ist entscheidend: Chindōgu sind keine Produkte im herkömmlichen Sinn. Sie wollen nicht funktionieren, nicht verkauft werden und keine Bedürfnisse befriedigen. Ihre Wirkung liegt nicht im Gebrauch, sondern im Moment der Irritation – als absurde Intervention.


Wirkung statt Funktion

Chindōgu widerspricht etablierten Design-Idealen, erfüllt aber dennoch eine gestalterische Funktion: Es erzeugt Reflexion, Irritation und Humor.


Zweckfreiheit

Dieter Rams steht für Effizienz und Reduktion. Chindōgu erscheint als „schlechtes Design“ ist aber eine kreative Rebellion gegen Zwecklogik.


Transformation durch Kontext

Alan Moore zeigt: Schönheit ist ein Wert. Chindōgu zeigt: Auch „Hässlichkeit“ kann Bedeutung erzeugen – etwa durch Kritik, Übertreibung oder Ironie.


Funktionsparodie

Donald Norman fordert benutzerfreundliches Design. Chindōgu bricht diese Prinzipien und macht dadurch unsichtbare Normen sichtbar.


Affektästhetik

Sianne Ngai liefert ein neues Vokabular: Chindōgu wirkt durch Zany (überdreht), Cute (niedlich-absurd) und Interesting (diskursiv). Diese Kategorien erklären, wie scheinbar „nutzloses“ Design affektive und gesellschaftliche Relevanz gewinnen kann.


Subersiver Alltag

Chindōgu und Anti-Design teilen das Ziel, Designlogik zu unterlaufen das eine als Kunst, das andere als absurde Alltagsstrategie mit Haltung.


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Das hässliche Entlein

Chindōgu erfüllt keine Norm, gewinnt keinen Designpreis, löst kein echtes Problem. Und trotzdem bleibt es hängen. Weil es etwas zeigt, das andere Objekte verstecken, wie schräg, widersprüchlich und komisch unsere Welt geworden ist.

Es passt nicht in die klare Welt von Funktion, Ästhetik und Effizienz. Wie das hässliche Entlein in Andersens Märchen wirkt es fehl am Platz, zu unbeholfen, zu anders, zu wenig nützlich. Aber vielleicht liegt genau darin seine Stärke. Man muss nicht alles besser machen. Eventuell reicht es, hässlich ehrlich zu sein – um am Ende doch zu zeigen, dass in diesem Scheitern etwas Schönes steckt. Diese Quietscheente steht nun symbolisch für Chindōgu.

Zwischen Funktion und Fiktion

Zwischen Zweck und Unsinn, Technik und Theater, Realität und Spekulation – Chindōgu bewegt sich in Zwischenräumen. In diesem Kapitel geht es darum, diese Zwischenräume zu deuten, als Spiegel gesellschaftlicher Routinen, als Kommentar zu Konsum, Kapitalismus und Gestaltungskultur.

Dabei öffnet Chindōgu nicht nur eine kritische Perspektive auf den Alltag, sondern auch eine spekulative. Es zeigt, wie Design genutzt werden kann, um Fragen zu stellen statt Probleme zu lösen. Ganz im Sinne von Dunne & Rabys spekulativem Designansatz entstehen hier Objekte, die nicht optimieren, sondern irritieren und damit Denkprozesse anstoßen, indem sie vertraute Logiken ad absurdum führen. viele der Fragen, die durch Chindōgu angestoßen werden, reichen weit über das Objekt hinaus: Wie gehen wir mit Überforderung, Optimierungsdruck oder funktionaler Langeweile um? Was passiert, wenn Produkte nicht mehr nur Dinge sind, sondern kleine Erzählungen, Störungen, Pointen? Vom Museum of Failure bis zu Simone Giertz’ Shitty Robots zeigt sich:

Wo Funktion ins Wanken gerät, entsteht Raum für Bedeutung, Widerspruch, Humor. Chindōgu liefert keine Lösungen – aber es eröffnet Möglichkeitsräume.

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Synthese der Recherche

Die vorangegangenen Kapitel haben verschiedene Perspektiven auf Chindōgu eröffnet – als ästhetisches Phänomen, als kulturelle Strategie und als kritisches Gestaltungskonzept.

Die folgenden Gedanken und Erkentnisse verdichten die Recherche und eröffnen den Raum für das abschließende Projekt.

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Neo Chindōgu

Beim Versuch, das klassische Chindōgu ein Stück weit aufzubrechen – und freier zu denken – entstand der Arbeitstitel Neo Chindōgu. Die vorangegangenen Kapitel und Vergleiche zeigen, hinter der scheinbaren Nutzlosigkeit steckt eine subtile Kritik an Konsumlogik, Erfindungswahn und Alltagsabsurditäten. Es ist Design, das Widersprüche nicht auflöst, sondern offenlegt – mit Ironie, Übertreibung und absichtsloser Zweckfreiheit.

Was wäre, wenn man die gestalterische Freiheit, die Chindōgu bietet, bewusst nutzt – nicht nur zur Reflexion, sondern um auf gesellschaftliche Schieflagen aufmerksam zu machen?

Ein Neo Chindōgu ist noch immer absurd. Eine spekulative Provokation, die Fragen aufwirft. Protestdesign, das sich Kommunikation zunutze macht. Humor, Satire und Ironie – als kritisches Werkzeug, ohne mit dem Finger zu zeigen.

Damit bricht Neo Chindōgu bewusst eines der klassischen zehn Gebote – Nr. 7: „Unschuldig & ehrlich: Kein Zynismus, keine Botschaft.“ Diese Regel sollte Chindōgu vor Kommerz oder Ideologie schützen – wirkte auf mich aber von Anfang an paradox. Denn jedes Chindōgu trägt eine Botschaft in sich.

Heute, in einer Welt ökologischer, sozialer und politischer Krisen, braucht es Gestaltung, die klar Stellung bezieht. Neo Chindōgu soll da zeitgemäß ansetzen: Ein absurd überzeichneter Kommentar zur Welt. Ein Werkzeug, das nichts löst – aber vieles sichtbar macht.

In der Gestaltungspraxis könnte Neo Chindōgu als Methode dienen, um über aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, Konsumwahn, Überwachung oder soziale Ungleichheit nachzudenken. Denn: Neo Chindōgu ist keine Form, sondern eine Haltung. Keine feste Kategorie – sondern eine Strategie:

Design als Überreaktion auf reale Missstände, Objekte als kritische Geste, Unsinn als Kommu- nikationsmittel, Absurdität als ernstgemeinte Einladung zur Reflexion.

Das Manifest und die Idee von Neo Chindōgu bilden den Kern für mein eigenes gestalterisches Projekt. Ziel ist es, absurde Objekte zu entwerfen, die als Werkzeuge der Kritik funktionieren – nicht, um sich über Missstände lustig zu machen, sondern um auf sie aufmerksam zu machen. In einer Welt, die zunehmend von Krisen, Kommerzialisierung und Komplexität geprägt ist. Daraus könnte eine spekulative Kampagane entstehen. Sie bringt Neo Chindōgu in den Kontext realer Krisen:

  • Chindōgu gegen den Reichtum der Reichen
  • Chindōgu für den Klimawandel
  • Chindōgu für überforderte KI-Zukunftsvisionen
  • Chindōgu nach dem nuklearen Fallout

Was auch immer …

Neo Chindōgu versteht sich dabei nicht als Lösung, sondern als Einladung. Als Designhaltung, die mit vollem Ernst scheitert – um weiterzudenken, unterstützt durch Kommunikationsdesign.

Neo Chindōgu für Dummies

Neo Chindōgu sind absurde Objekte mit Haltung. Sie tun so ,als wären sie nützlich. Sie wollen nicht helfen, sondern stören. Weil genau darin der Witz steckt: Was uns zum Lachen bringt, zeigt oft, was eigentlich schiefläuft. Totaler Unsinn – mit ziemlich ehrlichen Kern.

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Chindōgu als Methode?

Im Laufe dieser Arbeit hat sich Neo Chindōgu zu einer Haltung entwickelt. Ich denke aber auch, es kann als fruchtbarer Ausgangspunkt für Gestaltung stehen. Die Idee, grotesken spekultaiven „Unsinn“ zu gestalten – um auf Widersprüche, Absurditäten und Ungleichheiten aufmerksam zu machen – bietet ein ungewohntes, aber kraftvolles Gegenmodell zur üblichen Logik von Problemlösung und Optimierung. Doch wie lässt sich so ein Denken konkret anwenden? Wie kann aus einer Haltung ein Prozess oder Werkzeug entstehen, der andere dazu einlädt, ähnlich zu gestalten?

Aus dieser Frage heraus entstand der Wunsch, ein methodisches Werkzeug zu entwickeln. Eine Methode, die das Konzept von Neo Chindōgu nicht nur beschreibt, sondern nutzbar macht – im Team, im Workshop, in der eigenen Praxis. Denn was nützt ein noch so kluges Manifest, wenn es nicht in Handlung übersetzt werden kann? Ich wollte herausfinden, ob und wie sich die Grundgedanken – Paradox, Scheitern, Humor, Zweckfreiheit – in einen gestalterischen Prozess übertragen lassen.

Dabei ging es mir nicht darum, bestehende Methoden einfach zu erweitern oder abzuändern. Viele gängige Tools fokussieren auf Innovation, Effizienz oder Nutzwert – sie suchen nach Lösungen. Neo Chindōgu aber beginnt genau dort, wo es eigentlich „keine Lösung“ gibt. Es stellt nicht die Frage „Was fehlt?“, sondern „Was läuft schief – und wie lässt sich das auf den Punkt bringen?“ Die Methode, die daraus entstanden ist, soll diesen Perspektivwechsel ermöglichen: Weg vom Lösungsdruck – hin zu kritischer Irritation, absurder Übertreibung und gestalterischer Offenheit.

SHIFT Happens

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Workshop

Der nächste logische Schritt lag eigentlich auf der Hand. Die Methode musste auf die Probe gestellt werden. Denn was bringt eine theoretisch durchdachte Gestaltungslogik, wenn sie sich in der Praxis nicht bewährt?

Um das herauszufinden, entschied ich mich, einen Workshop zu konzipieren und durchzuführen. Ein Testlauf. Wie funktioniert SHIFT im Team – oder allein – unter echten Bedingungen? Was wird ausgelöst? Ideen, Gesprächen, Reibung? Dazu lud ich eine Gruppe Teilnehmender ein, um die Methode gemeinsam mal durchzuspielen. Sie wurden zu meinen Versuchshasen – um SHIFT zu testen.

Den Workshop vorbereiten

Um die Methode sinnvoll testen zu können, brauchte sie eine geeignete Form der Vermittlung. Eine visuelle Struktur, ein kleiner Auftritt – ein methodisches Branding.

Da SHIFT in klaren Schritten bzw. Phasen funktioniert, entschied ich mich, ein Canvas zu gestalten: eine Art Arbeitsblatt, das die Teilnehmenden durch die Methode führt.

Zusätzlich entwickelte ich Denkanstoß-Karten – kleine Hinweise, Fragen oder Tipps zu jeder Phase. Für mich selbst war der Ablauf inzwischen vollkommen schlüssig – ich war ja mittlerweile seit über 12 Wochen tief im Thema. Aber: Würde jemand, der SHIFT zum ersten Mal sieht, überhaupt verstehen, worum es geht? Und falls nicht: Welche Art von Hilfe könnte dann unterstützen – ohne zu viel vorzugeben?

Diese Fragen bestimmten die Gestaltung der Workshopmaterialien – und legten den Grundstein für den praktischen Testlauf von SHIFT.

Gestaltung als Einladung

Um den Workshop attraktiv zu gestalten, begann ich, ihn visuell einzukleiden. Denn wie überzeugt man vor allem Gestalter:innen, freiwillig an einem Methodentest teilzunehmen? Zwingen wäre eine Möglichkeit – aber deutlich wirksamer: Ein guter Look und ein entspannter Vibe.

Ich entschied mich, den Geist von Chindōgu mit einer passenden Gestaltungssprache zu verbinden:

Quietschbunt, japanisch überdreht, ein wenig Y2K – inspiriert von Verpackungen, Maskottchen und Popkultur.

Ein ironischer Stil für eine absurde Methode. Außerdem hab ich ganz lieb gefragt.

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Workshop

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SHIFT HAPPENS ワークショップ

create absurd objects to fix in a broken world.

Mit der Methode S.H.I.F.T. denkst du absurd, spinnst rum, übertreibst. Du kombinierst spekulatives Denken mit absurder Gestaltung, um Dinge sichtbar zu machen, die sonst unter der Oberfläche bleiben oder an die vielleicht noch niemand so richtig denkt. Es geht nicht um funktionale Lösungen. Sondern um Erkenntnis durch Absurdität. Denn manchmal ist Unsinn die ehrlichste Reaktion auf den ganzen Quatsch da draußen.

Outcome

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Feedback

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Was nehme ich mit – für mich, für SHIFT?

Puh. Der Workshop war vorbei. Und am Anfang… sah’s nicht gut aus. Alle saßen da, guckten mich mit Fragezeichen in den Augen an, und ich dachte nur: „Oh Gott. Du hast die letzten Wochen ’ne Methode gebaut, die kein Mensch versteht. Niemand weiß, was du willst. Das Ding funktioniert nicht.“

Ich war nur etwas zu ungeduldig. Kurz sammeln, durchatmen, abwarten. Und siehe da: Nach zehn, fünfzehn Minuten waren plötzlich alle drin. Es wurde geschnackt, geschrieben, übertrieben – dazwischen Capri-Sonne, Kekse, Buntstifte. Überall lag was auf dem Tisch. Ich wusste: Okay. Es passiert gerade was. Und am Ende hatte auch jeder was.

Klar – perfekt lief das jetzt nicht ab, war eben mein erster Workshop. Und ich war vielleicht zu verkopft reingegangen. Was gefehlt hat? Ein Einstieg, der locker macht. Eine kleine Übung, um die Köpfe weich zu klopfen. Nichts Kompliziertes, eher ein Stimmungsöffner. Etwa: „Erfindet ein Objekt für einen Vampir mit Platzangst“, „Was braucht jemand, der zu laut denkt?“, „Gestaltet ein Geburtstagsgeschenk für einen Algorithmus“.Einfach reinkommen. Quatsch machen. Lachen. Ohne Erwartungen. Dann SHIFT.

Auch die Einführung hätte klarer sein können. Ich war tief drin im Thema, aber ich darf nicht vergessen, – Die anderen waren es nicht. Ein klarer Einstieg, was will die Methode, was nicht – hätte den Vibe gleich besser gesetzt. Viele wünschten sich eine klarere Orientierung: Was soll entstehen? Ein Produkt? Ein Service? Eine Provokation? Sogar die Denkanstoß-Karten für die erste Phase waren eher verwirrend als hilfreich – zu viel, zu offen. Auch die Struktur der Methode war nicht für alle auf Anhieb greifbar. Einige dachten zu früh zu praktisch, andere verloren sich in großen Fragen. Wann soll übertrieben werden und wann reflektiert.

Trotz all dem: das Feedback war ehrlich, konstruktiv, hilfreich. Und es hat mir gezeigt, wo SHIFT steht – und wohin es noch kann. Es funktioniert. Es braucht aber noch Feinschliff. Die Phasen müssen klarer formuliert werden. Die Karten sollten überarbeitet, reduziert oder modularisiert werden. Und auch das Format selbst könnte noch flexibler werden. Canvas & Karten – ja. Aber: Manche wollen allein arbeiten, andere im Team. Einige denken besser mit Bildern, andere mit Wörtern. Vielleicht ist SHIFT kein festes Tool – sondern ein modulares System. Man könnte daraus auch SHIFT-Land-Fluss machen. Oder ein Cartoon-Storyboard. Oder Stille Post der Absurdität. SHIFT ist wie im neuen Manifest von Neo Chindōgu: Open Source. Was du draus macht, ist offen. Ich sollte allerdings ein Starter-Set bereitstellen.

SHIFT funktioniert nicht nur als Werkzeug, um gesellschaftliche Kritik in absurde Objekte zu übersetzen – sondern auch als Katalysator für Kommunikation. Es öffnet Gespräche. Es bringt Teams ins Denken. Es eignet sich als Warm-Up, als Ideationmethode, als Teambuilding-Tool. Es hat etwas Spielerisches – aber mit Substanz. Ein Teilnehmer meinte, es fühlte sich an wie „Cartoon“. Und das trifft’s ziemlich gut.

Am Ende fühlt sich noch seltsam an, ein Projekt zu machen, bei dem am Ende nicht ein fertiges Objekt steht. Kein wirkliches Produkt wie sonst. Nach dem Workshop war das Gefühl noch da – aber nicht mehr so stark. Vielleicht ist das einfach mein Imposter-Syndrom, oder auch ganz normal. Jedenfalls ist etwas entstanden.

Was bleibt also? SHIFT funktioniert. Nicht perfekt, nicht abgeschlossen – aber als Haltung, als Anstoß, als kollektives Nachdenken über das Absurde, das Alltägliche und das, was wir sonst nicht sehen. Und dazu ein Starter-Set, um sich da mal tiefer reinzufühlen.


Ein riesiges Dankeschön an alle zwölf Teilnehmenden des SHIFT Happens Workshops. Alle Mitwirkenden sind Studierende oder Alumni der Hochschule Anhalt: Zwei Alumni, sieben aus dem Studiengang Integriertes Design, zwei aus Intermedialem Design sowie ein Teilnehmer aus der Architektur.

Mit dabei waren: Cecilie Behr, Christian Kirchner, Tim Lauterwald, Sabrina Blochwitz, Nicole Grimm, Michelle Dreßler, Melissa Hecht, Conradt Bohnau, Hendrik Quastenberg, Elektra Schnee, Anton Strecha und Lucas Naser.

Danke für eure Offenheit, Kreativität und den Spaß – ohne euch wäre nichts passiert und vor allem kein SHIFT.

Methodenabgleich

Für den Moment steht SHIFT Happens – die Herleitung ist schlüssig, und was dabei rauskommen soll, ist auch klar. Die Form kann und soll sich hier und da sicher noch einmal ändern. Was ich auf den nächsten Seiten zeigen will, ist, inwiefern sich SHIFT Happens in bestehende Methoden der Designpraxis einordnet: Welche Parallelen und Unterschiede gibt es? Wo bestehen Verwandtschaften – und wo wird klar, dass SHIFT Happens etwas Eigenständiges ist?

Als Vergleichsrahmen habe ich fünf Methoden ausgewählt, die sich ebenfalls mit spekulativer oder kritischer Gestaltung beschäftigen: Speculative Design, Critical Design, Design Fiction, Design Provocations und Disobedient Design. Ergänzt wird der Vergleich durch

Design Thinking – als Kontrastmodell, das für eine nutzerzentrierte, lösungsorientierte Praxis steht.

Artefakte die keiner will

Einige Artefakte, die ich mit SHIFT Happens entwickelt habe. Sie sind mit Sicherheit nicht perfekt. Das Müssen sie auch nicht sein. Sie sind absurd, übertrieben, unbequem – aber genau das ist ja die Erwartung.

Jedes dieser Objekte ist aus einem Szenario entstanden. Irgendwas, das mich gestört hat oder bei dem ich dachte: Hä? Warum ist das so? Was ist wenn ...? Wie ...?. Ob sie „funktionieren“ würden? Sicher nicht. – Vielleicht nicht so, wie man’s sonst von Design kennt.

Schnorchel 3000

Wir schreiben das Jahr 2069. Die Luft schmeckt nach Straße. Atmen ist wie rauchen – nur ohne Filter.

Uns geht die Luft aus. Städte hüllen sich in Smog. Die Lungenleistung wird zum neuen Statussymbol. Wer’s sich leisten kann, lebt in Kapseln mit Ionisierung, wer nicht, trägt halt den Schnorchel 3000. Ein tragbares Frischluftgerät. Halb Gadget, halb Gag, aber irgendwie auch

bitterer Ernst. Der Schnorchel 3000 ist dein persönliches Klimaschutzschild.

Louis Vuitton LUX-RESCUE

Wenn der Meeresspiegel steigt, heb dich stilvoll ab.

Das Jahr 2044. Die Küsten stehen unter Wasser, Venedig ist abgesoffen, Sylt verkauft sich selbst als U-Boot-Tourismusinsel. Doch keine Sorge – wer genug Geld hat, bleibt oben. Nicht dank Technik oder Solidarität. Sondern dank exklusiver Fashion-Floaties aus echtem Kunstleder, gesteppt mit goldenen Nähten.

ZIEHHARMONIKA-GUMMISTIEFEL

Wie hoch steht das Wasser heute? Normale Gummistiefel sind zu kurz, zu lang, zu unflexibel. ZIEHHARMONIKA-GUMMISTIEFEL passen sich an. Oder auch nicht. Dank eingebautem Faltmechanismus kannst du sie je nach Wetterlage hochziehen, runterstauchen, einrollen oder über die Knie hinaus verlängern. Ein Stiefel für alle Fälle – aber nie für den richtigen. Ein Hybrid aus Panik, Improvisation und dem verzweifelten Versuch, mit der Welt Schritt zu halten.

KEEP WORKING KIT

Erste Hilfe für die Endstufe der Leistungsgesellschaft.

Es ist 16:42 Uhr. Du bist müde, die Deadline war gestern, der Slack-Channel bimmelt wie eine Spielautomaten in Las Vegas. Du willst kurz durchatmen. Doch dann fällt dein Blick auf die Wand – neben dem Erste-Hilfe-Kasten hängt jetzt: Das KEEP WORKING KIT.

Ein roter Kasten, beschriftet mit „IM NOTFALL: DURCHHALTEN!“. Du öffnest ihn. Ein grelles Blaulicht springt an.

Drinnen: alles, was du brauchst, um dich weiter auszubeuten. Energy-Drinks, Koffeintabletten, Augenklammern, ein tragbarer Wecker. Elektroschocks? Ein Mini-Spiegel mit dem Aufdruck: „Brot verdient sich nicht von alleine“

Es ist nicht dafür da, um dir zu helfen. Es ist dafür da, dass du funktionierst. Egal wie’s dir geht.

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WATERLOCK

Schütz, was du trinkst.

Der Sommer ist heiß. Der Boden ist trocken. Die Nachrichten melden neue Rekordwerte. In den Supermärkten steht Wasser jetzt hinterm Tresen. Doch du hast noch eine Flasche. 0,5 Liter. Eingesperrt in einem Metallkäfig. Mit Zahlenschloss. WATERLOCK – die erste persönliche Wasserflasche mit Sicherheitsmechanismus. Kein Witz. Kein Luxus.

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SELF-CENSOR HAT

Wenn sie alles sehen – zeig ihnen nichts.

Du gehst durch die Stadt. Über dir – Drohnen. Vor dir – Gesichtserkennung. Hinter dir – Smartphones. An jeder Ecke Überwachung.

Also ziehst du ihn auf, den SELF-CENSOR HAT – ein Helm voller Spiegel. Reflektierend in alle Richtungen. Wie eine tragbare Diskokugel gegen Kameras. Er bricht Licht, zerstreut Konturen. [Vorsicht Aluhut 2.0 Gefahr!]

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Bonus

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Dokumentation

Was habe ich gelernt – und was nehme ich mit? Vor allem nehme ich mit, wie ich in Zukunft gestalten möchte: mit Humor, mit Zweideutigkeit, mit Ideen, die an der Oberfläche kratzen. Laut, spürbar. Nicht immer perfekt, aber mit Haltung. Ich habe gelernt, mich vom Optimierungsdruck nicht lähmen zu lassen – und Themen mit einer gewissen Furchtlosigkeit anzugehen (große Worte). Auch wenn das Scheitern dabei mitgedacht werden muss. Das wird nicht immer funktionieren, das bin ich mir bewusst.

Aber es ist ein Anspruch an mich selbst geworden: gestalten zu dürfen, ohne alles lösen zu müssen, vor allem nicht allein – aber mit dem Willen, etwas sichtbar zu machen.

Vielen Dank!