





Eine Unterhaltung zwischen Igor Strawinsky und Laura Lange
I. Annäherung – Im Schatten der ersten Bewegung




















Strawinsky: Fräulein Lange – es freut mich, dass unsere Unterhaltung stattfindet. Man sagt mir nach, dass ich einst einen Saal in Aufruhr verretzte. Paris, 1913, erinnern Sie sich? Die Menschen schrien. Nicht wegen eines Textes. Sondern weil Musik den Boden unter ihren Füßen veränderte. Ich frage Sie nun:
Was hat Sie zu meinem Werk geführt?
Laura: Herr Strawinsky, es ist mir eine Ehre. Nun, als junge Gestalterin beschäftigte ich mich im Großprojekt »SpielRäume« mit Ihrer Komposition »Le Sacre du Printemps« – genauer: mit der »Introduction« des zweiten Teils. Unser Ziel war es, Musik daten- basiert und zugleich sinnlich zu visualisieren. Und das hieß ganz bewusst nicht »Musikvideo« – es ging nicht darum, eine Geschichte zu erzählen oder Bilder über Musik zu legen, sondern das Gehörte selbst visuell erfahrbar zu machen.
Also: Was passiert in der Musik? Wie fühlt es sich körperlich an? Wie übersetze ich das in eine visuelle Sprache – ganz konkret, in Form, Farbe und Bewegung? Mich würde interessieren:
Wie denken Sie über das Verhältnis von Musik und Bild?
Strawinsky: Mademoiselle, die Musik ist sich selbst genug. Ich hege tiefes Misstrauen gegenüber jedweder Form der Programmmusik, dieser sentimentalen Ausdeutung. Und dennoch – man muss erkennen: Die Klänge in »Le Sacre« sind nicht bloß Musik, sondern eine Tektonik von Kräften. Wenn Sie das sichtbar machen wollen – mit Disziplin und Intuition – dann handeln Sie ganz im Geiste des Sacre.
Laura: Diese Spannung zwischen Disziplin und Intuition beschreibt auch unseren Kurs sehr gut. Der erste Teil des Semesters galt dem analytischen Verstehen von Musik. Wir lernten verschiedene musikalische Parameter kennen: Tempo, Dynamik, Instrumentierung, Tonalität, Rhythmik, Klangfarbe... und versuchten sie zu verstehen. Anfangs analysierten wir Mahlers »Erste Symphonie«. Spannende musikalische Ereignisse animierte ich mit Käse.
Es war ein absurder, aber auch humorvoller Versuch, Musik sinnlich zu kodieren – etwa mit einem roten Gouda für die Holzbläser, einem grünen Bergkäse für das Blech, einem Schimmelkäse für die Streicher.
Strawinsky: Ah, fromage! Eine merkwürdige Allegorie – aber nicht gänzlich unsinnig. Sie bedienen sich der Synästhesie, jenes inneren Reflexes, der Klang in Form verwandelt. Doch hüten Sie sich vor dem Anekdotischen! Musik verlangt Präzision, nicht Illustration.
Laura:
Genau damit habe ich gerungen. Ich wollte die Musik nicht bebildern, sondern ihre Struktur sichtbar machen. In After Effects arbeitete ich mit kaleidoskopischen Transformationen und Parameterverknüpfungen – etwa Lautstärke zu Skalierung, Tempo zur Rotationsgeschwindigkeit. Doch je tiefer ich einstieg, desto mehr merkte ich: Ich verliere mich. Die visuelle Entsprechung wirkte unklar, überladen. Darf ich Sie etwas fragen, Herr Strawinsky? Was halten Sie von Mahlers »Erster Symphonie«
– besonders vom Anfang?
Strawinsky: Mahler. Wir begegneten uns einst in München, als er meine Feuervogel-Partitur dirigierte. Mahler war ein Monument seines Jahrhunderts. Seine Musik atmet Tiefe, doch auch eine gewisse Sentimentalität. Seine »Erste Sinfonie« – besonders der Anfang – zeigt große Kunstfertigkeit, doch seine Ästhetik ist eine andere als die meine.
Laura: Ich hatte Schwierigkeiten mit seiner Musik. Mich hat der Anfang nie ganz erreicht. Dieses schwebende, langsame Erwachen – ich wusste nicht, woran ich mich halten sollte. Mir wardas zu deutlich, zu kitschig, zu langweilig. Vielleicht auch: zu bedeutungsschwanger.
Strawinsky: Er will viel erzählen. Zu viel, vielleicht. Musik aber muss nicht erzählen – sie muss atmen, sich aufbauen, sich zurücknehmen. Mahlers Musik will geliebt werden, meine Musik will gespürt werden.
Laura: Vielleicht war das mein Problem. Ich konnte seine Musik nicht körperlich greifen. Sie hat mich nicht bewegt – zumindest nicht sofort. Ich suchte nach etwas Rohrem, Direkterem.
Strawinsky: Dann war »Le Sacre« wohl die richtige Wendung. Dort geht es um Energie. Bewegung. Und Unerbittlichkeit.
II. Vertiefung – Im Bann des heiligen Frühlings












Strawinsky: Sie sprachen, Fräulein Lange, vorhin vom Verlieren in der Form. Mich interessiert nun – wie fanden Sie zurück? Was löste sich, als Sie »Le Sacre« zum ersten Mal hörten?
Laura: Ich war zunächst ernüchtert. Nach Mahlers »Erster Symphonie« – die sich in gedehnten Bahnen bewegte – hoffte ich auf etwas Kontrastreicheres, vielleicht wilder, greifbarer. Und dann wurde mir zufällig ausgerechnet der zweite Teil Ihrer Komposition zugewiesen – die »Introduction« aus »Part II: The Sacrifice«. Ruhig. Lang. 4 Minuten 40 Sekunden Stille mit Rissen.
Strawinsky: Ein gewagter Beginn, nicht wahr? Ein feines Beben, das die Erde vorausahnt. Wissen Sie, bei der Uraufführung glaubte man, die Musik sei ein Irrtum. Aber der Irrtum war das Publikum.
Laura: Ja, man erzählt auch heute noch, dass die Premiere ein Skandal gewesen sei – Ihre Musik verließ das Gewohnte, sie spaltete das Publikum. Und ich begann zu ahnen, dass diese Musik keine Stille ist, sondern Aufbegehren gegen Ordnung, gegen Konvention. Denn je mehr ich mich mit dem historischen Kontext und der Bedeutung von »Le Sacre« befasste, desto mehr faszinierte mich genau diese Leere.
Strawinsky: Sie sprechen von Widerstand, Fräulein. In »Le Sacre« tanzt kein Körper in Schönheit – er tanzt, weil er muss. Weil eine Macht ihn zwingt. Diese archaische Gewalt – sie ist der Ursprung der Musik.
Laura: Und genau diese archaische Gewalt, dieses Motiv von Herrschaft, hat mich in meiner eigenen Arbeit stark beschäftigt. Ich wollte es aber nicht bei Ihrer ursprünglichen Erzählung belassen – der Opferung eines Mädchens für das Wohl der Gemeinschaft. Schon bei meinen ersten Anhörungen Ihres Werkes ließ ich meine Ohren und Gedanken frei umherschweifen. Ich notierte Begriffe und Bilder, die in mir entstanden: »Herrschaft«, »Neuschöpfung«, »Tasten«, »Erkunden«, »Alice im Wunderland«. So spürte ich, dass ich dieses Stück feministisch aufladen wollte – als Gegenentwurf zu Ihrer ursprünglichen Opfererzählung.
Ich fragte mich: Was ist, wenn das Mädchen sich widersetzt? Wenn ihre Bewegungen nicht mehr Ritual, sondern Widerstand sind?
Strawinsky: Sie verweigern das Opfer?
Laura: Ich erzähle es anders. Die folgenden Zeilen lassen meine ersten Gedanken erahnen:
»Meine Gelenke tragen Wörter.
Meine Hände werfen Schatten auf eure Ordnung.
Meine Bewegungen entziehen sich dem Raster eurer Legenden.«
Denn in meiner ersten Konzeptskizze stellte ich mir vor, wie sich in einem dreidimensionalen Raum eine abstrakte, transformierbare Klanglandschaft entfaltet. Inspiriert von geodätischen Karten. Eine Topografie, die mit den Parametern der Musik verknüpft ist – Dynamik, Rhythmus, Instrumentierung – aber auch mit inneren Zuständen.
Strawinsky: Ein kühnes Unterfangen. Doch sagen Sie – wie erschaffen Sie solch eine Welt? Sind Sie Geodätin oder Komponistin?
Laura: Beides nicht – ich bin Gestalterin. Aber eine, die sich hineinwagt in fremde Räume. Ich arbeitete mit After Effects, das Programm erwähnte ich bereits. Doch ich hatte noch nie zuvor einen 3D-Raum darin erstellt. Blender – ein mächtiges 3D-Programm – habe ich noch nie geöffnet und wollte es umgehen. So suchte ich nach einer Möglichkeit, reale Objekte plastisch in meinen Raum zu bringen, ohne mich in komplexer Modellierung zu verlieren. Und da entdeckte ich Polycam – eine App, mit der man reale Objekte in 3D-Modelle umwandeln kann. Ich scannte Gegenstände und probierte verschiedene fremde Objekte aus der Community – zunächst eine Kathedrale – ein Symbol für Ordnung, Hierarchie, Macht.
Strawinsky: Ein Tempel, gegen den man tanzt. Ein Stein gewordenes Ritual.
Laura: Genau. Ich setzte sie auf eine karge, graue Kraterlandschaft, wie vom Mond. Hinein in diese Welt stellte ich eine abstrakte Figur – rot, körperlich fragil, tänzerisch. Die Figur durchquert und verwandelt die Landschaft, die Ordnung – ihre Bewegungen hinterlassen Spuren, färben den Raum, stören bestehende Strukturen und schreiben das Terrain neu. Entworfen in Adobe Illustrator und animiert in Adobe Character Animator, übertrug ich dort meine Bewegungen mittels Laptopkamera auf drei verschiedene Varianten der 2D-Figuren.
Strawinsky: Verzeihen Sie, Mademoiselle, doch ich gestehe: Ihre Vorgehensweise verwirrt mich ein wenig. Arbeiten Sie nun nach Plan – oder nach Eingebung? Wo endet das Konzept, wo beginnt die Improvisation?
Laura: Ganz Ihrer Meinung, Herr Strawinsky. Meine Arbeitsweise ist zweigleisig: konzeptionell und intuitiv. Ich hatte eine klare Richtung – ein Gefühl, eine Haltung gegenüber dem Stück. Aber ich zwang dem Prozess nie ein starres Ziel auf. Ich hörte die Musik immer wieder, ließ sie auf mich wirken. Und gleichzeitig analysierte ich sie in Sonic Visualiser – identifizierte Onsets, Tonal Changes, Dichtewechsel. Diese Analysen waren mein Fundament, mein Raster. Innerhalb dieses Rasters aber durfte sich meine Intuition entfalten. Ich vertraute auf meine Naivität – und nahm Zufälle nicht als Fehler, sondern als Fügungen an.
Strawinsky: Verzeihen Sie meine Neugier – doch könnten Sie mir ein Beispiel jener inneren Entscheidungen geben, wo Konzept und Gestaltung aufeinandertrafen?
Laura: Natürlich. Zu Beginn wollte ich Wörter auf den Gelenken meiner Figuren platzieren – Begriffe, die gesellschaftlich auf Frauen projiziert werden, als stille Marker von Zuschreibungen und Erwartung. Doch bald erkannte ich: Diese Ebene der Typografie, so reizvoll sie konzeptionell war, hätte meine visuelle Sprache überfrachtet. Also entschied ich mich für Reduktion – zwei Zustände der Figur, zwei Haltungen, aber ohne Schrift. Die eine sichtbarer als die andere, da ich »Schattenspiele« entdeckte.
III. Umsetzung – Im Grollen der roten Erde
Strawinsky: Werfen Sie fort, was unklar ist! »Le Sacre« kennt kein Ornament. Die rhythmische Idee — das ist der Puls der Erde. Ein archaischer, organisierender Impuls.
Laura: Treffend formuliert, Herr Strawinsky. Im Laufe meines Prozesses festigten sich einige Aspekte meines ersten Konzepts und andere ließ ich bewusst los. Als 3D-Objekte entschied ich mich schließlich für drei antike griechische Statuen: Hermes, Zeus und Severus. Sie steigen aus der Kraterlandschaft empor — Sinnbilder für Herrschaft, Stabilität und patriarchale Ordnung. Ihre Präsenz ist starr, monumental, unbeweglich. Der Raum, aus dem sie sich erheben, ist karg und grau wie eine eingefrorene Ideologie.
Strawinsky: Nun denn, was folgt nach dem Aufstieg der Statuen? Worin mündet all dies? Wie setzen Sie die Erschütterung fort?
Laura: Nun, Herr Strawinsky, für ein wirkliches Verständnis müssten Sie die Animation selbst gesehen, selbst erfahren haben.
Doch ich will es Ihnen gern beschreiben:
Im Verlauf der Animation breitet sich von der Stelle, an der meine Figur ›tanzt‹, eine rote Fläche aus. Eine organisch wachsende Form — pulsierend, vibrierend, wie eine Überschwemmung, eine Vereinnahmung. Ich nutzte Masken, Verzerrungen und Luminanzeffekte, um diese Fläche lebendig zu machen. Gleichzeitig arbeitete ich, wie bereits erwähnt, mit einer topografischen Karte — generiert in Adobe Firefly, dann in Photoshop verzerrt und animiert. Auch diese Karte färbt sich rot, als hätte der Körper die Ordnung infiziert. Ich interpretierte das als Symbol für Blut, Gewalt, aber auch für kollektiven Widerstand.
Strawinsky: So formt der Tanz den Boden, nicht umgekehrt. Ihre Figur ist keine Erzählung, sie ist eine Kraft.
Laura: Und sie ist nicht allein. Gegen Ende vervielfältigt sie sich. Es entsteht eine Armee aus roten Körpern. Diese fusionieren zu einer neuen Gestalt: »Nike«, die Siegesgöttin.
Strawinsky: Warum »Nike«?
Laura: »Nike« war für mich nicht nur Sieg über etwas Äußeres, sondern über das innere Verstummen. Über die Mythen, die Frauen auferlegt werden. Die Farbpalette reduzierte ich konsequent: Nacht in Schwarz, Erstarrung in Grau und das Rot als stetig wachsender Impuls, der alles durchzieht.
Strawinsky: Sie haben sich entschieden. Sie erzählen kein Märchen, sondern eine Reaktion. Und das ist, Fräulein Lange, durchaus im Geiste des »Sacre«.
IV. Reflexion — Im Nachhall der Bewegung
Strawinsky: Fräulein Lange, wenn Sie nun zurückblicken, was war die größte Herausforderung auf Ihrem Weg? Wo gerieten Ihre Idee und Ihre Mittel aneinander?
Laura: Herr Strawinsky, ich muss gestehen, die größte Herausforderung war für mich, mich immer wieder an den Laptop zu setzen. Die Arbeit an einem digitalen Projekt verlangt viel Zeit, und das Ergebnis bleibt am Ende doch immateriell, nicht greifbar. Das war für mich persönlich schwer — ich liebe es, Dinge physisch in den Händen zu halten.
Auch der Einstieg in die Musik war anfangs schwierig. Ich kann keine Noten lesen. Das analytische Verstehen war mir fremd. Aber durch Sonic Visualiser fand ich einen Zugang, der für mich funktionierte.
Herausfordernd war auch, eine Erzählung zu denken, ohne sie konkret zu zeigen. Eine Geschichte für mich zu entwickeln, die sich visuell aber abstrakt entfaltet. Das erforderte, mich von klassischen Narrativen zu lösen.
Und dann, Herr Strawinsky, kamen die technischen Grenzen: Mein Computer stürzte in den letzten Animationsphasen bis zu zwölfmal am Tag ab. Ich konnte meine Datei kaum noch bearbeiten. Ich schaltete Effekte ab, suchte nach Lösungen, aber die Abstürze holten mich immer wieder ein. Besonders zermürbend war, dass ich in After Effects die Animation nicht in Echtzeit sehen konnte und die Musik lief auch nicht synchron mit. Ich musste ständig zwischen der Audiodatei und dem Programm wechseln.
Das Rendern eines Videos dauerte manchmal zwanzig Stunden — eine Zeit, in der mein Computer blockiert war. Ich wartete oft einen ganzen Tag, nur um anschließend festzustellen, was ich noch hätte anpassen müssen. Diese technischen Barrieren rissen mich aus meinem gestalterischen Flow. Aber die anderen Herausforderungen, die Musik, die Abstraktion, das Entwickeln eines eigenen Zugangs, sie haben meinen Prozess nicht behindert, sondern ihn letztlich vertieft.
Strawinsky: Eine bewundernswerte Entschlossenheit. Doch Sie sagten, Sie hegten Zweifel. Nicht am Konzept, sondern an der Machbarkeit. Erzählen Sie mir davon.
Laura: Nein, eigentlich habe ich nie darüber nachgedacht, das Projekt grundsätzlich zu ändern oder aufzugeben. Ich bin ehrgeizig. Als ich mein Konzept schließlich gefunden hatte, wollte ich es auch durchziehen. Aber ich habe gezweifelt, ob ich es rechnerisch und technisch überhaupt fertigstellen kann, und ob ich ein Ergebnis erreiche, das meinen eigenen Ansprüchen genügt. Diese Unsicherheit hat mich zeitweise begleitet.
Strawinsky: Haben Sie während Ihrer Arbeit Momente erlebt, in denen sich Ihr Zugang zur Musik oder zum Thema grundlegend verändert hat? Gab es einen Wendepunkt in Ihrem Verständnis oder Ihrer Herangehensweise?
Laura: Ich glaube, es gab nicht diesen einen großen Wendepunkt, sondern eher einen schleichenden Prozess, der sich so etwa im zweiten Drittel des Projekts eingestellt hat. Ich begann, die Musik besser zu verstehen. Nicht nur zu hören, sondern wirklich zu erfassen: Wo ist die Musik? Was passiert? Was sind die charakteristischen Elemente? Dieses wachsende Verständnis hat mir geholfen, passende Visualisierungen zu entwickeln, die mehr waren als bloße Vermutungen.
Der gesamte Prozess war, das wird im Rückblick sehr deutlich, durchaus chaotisch. Ich habe viele Dinge mehrfach ausprobiert, verworfen und wieder neu gedacht, bis sie für mich stimmig waren. Diese Schleifen gehörten dazu. Rückblickend war es wichtig, dass wir mit Mahlers Erster Symphonie angefangen haben. Diese Übung hat mir geholfen, einen Zugang zu finden. Hätten wir direkt mit dem Hauptprojekt und dem Sacre begonnen, wäre der Einstieg für mich wahrscheinlich deutlich schwerer gewesen.
Strawinsky: Und sagen Sie, Fräulein Lange, was haben Sie aus diesem Werk mitgenommen? Nicht nur technisch oder gestalterisch, sondern im weiteren Sinne: für Ihre Haltung, Ihre Praxis, Ihr Verständnis von Gestaltung?
Laura: Was ich mitnehme, Herr Strawinsky, ist vor allem ein erweitertes Verständnis davon, wie ein Gestaltungsprozess aussehen kann, besonders im Spannungsfeld zwischen Daten, Emotion und Narration. Ich habe gelernt, dass visuelle Gestaltung nicht zwingend eine Geschichte im klassischen Sinn erzählen muss, sondern dass es auch darum gehen kann, Atmosphären, Bewegungen und Spannungen zu erzeugen. Das Modell von Logos, Ethos und Pathos hat mich dabei sehr geprägt. Es hat mir geholfen, meine Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und zu bewerten.
Was ich auch mitnehme: Ich habe meine Fähigkeiten im Umgang mit räumlicher Inszenierung weiterentwickelt, besonders durch das Experimentieren mit Polycam und 3D-Objekten in After Effects. Ich habe entdeckt, dass ich auch ohne komplexe 3D-Programme wie Blender eine bewegte, erfahrbare Welt schaffen kann. Das eröffnet mir gestalterisch neue Wege.
Zurücklassen werde ich dagegen den Versuch, lange, rechenintensive Animationen in After Effects zu realisieren. Die Zeit, die dabei verloren geht, steht für mich in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Ich habe für mich gemerkt: Kürzere, prägnante Sequenzen, die handwerklich gut umgesetzt sind, reizen mich mehr. Ich möchte Prozesse finden, die mich freier und schneller arbeiten lassen — mit Raum für Intuition, ohne ständig durch technische Grenzen ausgebremst zu werden.
Abschließend wurde meine allgemeine Vermutung erneut bestätigt: Das Unperfekte, das Zufällige, darf Teil meiner Arbeit sein. Ich habe viel experimentiert, vieles mehrmals ausprobiert, und manchmal lag gerade im Ungeplanten das, was am stärksten gewirkt hat. Das war vielleicht die wertvollste Erfahrung.
Strawinsky: Fräulein Lange, es scheint, als hätten Sie nicht nur gegen Ordnungen gearbeitet, sondern auch gegen Ihre eigenen Grenzen. Sie haben sich gewunden durch technische Widerstände, durch Unsicherheiten und doch Ihren eigenen Ton gefunden.
Laura: Ja, Herr Strawinsky, es war kein gerader Weg. Eher ein ständiges Abwägen, Loslassen, Neuversuchen. Ich habe viel gelernt, nicht nur über Musik und visuelle Sprache, sondern auch darüber, wie ich arbeiten möchte – und wie nicht. Und ich habe begriffen: Manchmal ist das Ziel nicht, das perfekte Bild zu erschaffen, sondern einen ehrlichen Prozess zu durchlaufen.
Strawinsky: Ein Prozess, der tanzt. Ein Prozess, der Widerhall erzeugt. Ich sehe, Sie haben nicht versucht, mein Werk zu illustrieren, sondern ihm zu antworten. Das ist, Fräulein Lange, weit mehr als bloße Gestaltung. Das ist ein Dialog.
Laura: Ein Dialog, den ich auf meine Weise weiterführen möchte. Ihr Geist wird weiterleben — in neuen Formen, in anderen Medien. Ihre Arbeit verliert nicht an Bedeutung. Im Gegenteil, sie bleibt ein Anstoß, Grenzen zu verschieben. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch, Herr Strawinsky.
Strawinsky: Und ich danke Ihnen. Bleiben Sie unruhig. Bleiben Sie forschend. Das Neue entsteht nicht aus Bequemlichkeit — es entsteht aus Notwendigkeit.