0. Mahler 1. Synphonie

Zur Vorbereitung haben wir zunächst gelernt, wie man eine Partitur liest und musikalische Parameter visuell interpretiert. Dazu haben wir uns in zwei Gruppen aufgeteilt und ich beschäftigte mich mit dem Anfang von Mahlers 1. Symphonie. Da ich bereits etwas Noten lesen konnte, legte ich den Fokus vor allem auf die Analyse der Parameter.

Während ich das Stück anhörte und gleichzeitig in der Partitur mitlas, notierte ich alle Veränderungen, die mir in den Parametern auffielen. In der anschließenden gemeinsamen Analyse im Unterricht wurden diese Beobachtungen vertieft, und wir begannen damit, erste Skizzen in animierter Form umzusetzen.

Für meine Animation ordnete ich den verschiedenen Instrumentengruppen jeweils unterschiedliche geometrische Grundformen zu. Tonhöhe und Lautstärke übersetzte ich in Größe, Position und Helligkeit der Elemente. Das Stück wirkte auf mich sehr leicht und schwebend, diese Schwerelosigkeit habe ich durch Partikel umgesetzt.

Nach mehreren Farbexperimenten entschied ich mich schließlich für eine Schwarz-Weiß-Ästhetik. Mithilfe eines Threshold-Effekts und eines Bayer-8x8-Rasters erzeugte ich eine visuelle Textur, die trotz der Beschränkung auf zwei Farben eine Differenzierung in der Wirkung erlaubt.

1. The Rite of Spring: VI Procession of the Sage

I. Einstieg & erste Annäherung

Zu Beginn habe ich mir das Stück in voller Länge angehört und versucht, dabei die Partitur mitzulesen. Schnell wurde mir klar, dass es sich hier um ein wesentlich komplexeres Werk handelt als Mahlers 1. Symphonie. Es gab keine klaren Regeln mehr, an die sich gehalten wurde, die Taktart wechselte ständig, Instrumente überlagerten sich, und im Kontrast dazu entstanden Passagen, in denen fast nichts zu hören war. Das hat mich zunächst schockiert.

The Rite of Spring (Le Sacre du Printemps) von Igor Strawinsky handelt von einem archaischen Frühlingsritual, bei dem eine junge Frau als Opfer auserwählt wird. Sie tanzt sich zu Tode, um die Götter zu besänftigen und den Kreislauf der Natur zu erneuern. Die tragische Geschichte, inszeniert als Ballett, wirkt sehr visuell prägend für mich und half mir, die Musik besser zu verstehen und sie nicht mehr als störend, sondern als stimmige Begleitung der Erzählung wahrzunehmen.

Ich habe mich intensiver mit Teil 6 Procession of the Sage (Prozession des Weisen) beschäftigt. Wie der Titel andeutet, geht es um das feierliche Erscheinen des Weisen. Der Abschnitt beginnt gespannt und würdevoll, alles ist ruhig, und man hört nur die langsame, fast ehrfürchtige Prozession. In der Mitte dieses Teils verändert sich die Klanglandschaft: Sobald der Weise angekommen ist, setzt das gesamte Orchester ein. Es entsteht ein massives Zusammenspiel der Instrumente, fast wie eine musikalische Anbetung des alten, ehrwürdigen Mannes.

Ich analysierte daraufhin die Partitur, nahm die Instrumentengruppen detailliert auseinander, notierte meine Assoziationen und sah mir die entsprechende Szene in einer Aufnahme des Balletts mehrfach an. So konnte ich eine tiefere Verbindung zu dem Stück aufbauen und begann erste visuelle Umsetzungsideen zu skizzieren.

II. Erster Versuch: Digitale Frame-by-Frame Animation in Krita

Meine erste Assoziation mit dem Stück war eine visuell-abstrakte Übersetzung des Ankommens des Weisen. Die Laufbewegung und das Übermächtige haben für mich den Charakter der Musik stark geprägt. Basierend auf meinen ersten Gedanken und Notizen habe ich ein Storyboard für eine Frame-by-Frame Animation entwickelt. Da ich zuvor noch nie digital gezeichnet und somit auch noch nie animiert hatte, war das eine Fähigkeit, die ich mir aneignen wollte.

Ich habe mehrere Stunden benötigt, um mich in das Programm einzuarbeiten, und anschließend habe ich versucht, mein Storyboard umzusetzen. Nach einigen Versuchen scheiterte ich jedoch immer wieder daran, die Linien exakt auf die Musik abzustimmen, da das Programm einfach nicht dafür gemacht ist. Zudem empfand ich die Umsetzung als zu minimalistisch, um die Wirkung des Stücks angemessen wiederzugeben.

Nach mehreren Tagen Frusts und Prokrastination, in denen ich meine Ergebnisse nicht mochte, aber zu sehr an der ursprünglichen Idee festhielt, habe ich mich schließlich dazu entschlossen, mein Konzept zu verwerfen und einen neuen Ansatz zu suchen.

III. Mixed-Media & Herangehensweise

Meine neue Herangehensweise wurde stark von dem Film „The Wolf House“ inspiriert, den ich anschaute, um neue Inspiration zu finden. Er sprengte alle Grenzen, vermischt mehrere Animationstechniken und findet in einem Dreidimensionalen analogen Raum statt. Dieses Gefühl der Grenzenüberschreitung wollte ich in meine Animation einfließen lassen. Ich habe verschiedene Möglichkeiten durchdacht, wie ich dieses analoge, Grenzen sprengende Element, das ich in der Musik deutlich spürte, einbauen kann. Etwa Projektionen, analoge Animationen auf Glas oder Mixed Media, bei dem Videomaterial Frame für Frame ausgedruckt und anschließend mit verschiedenen Medien weiter bearbeitet wird.

Für diesen Ansatz habe ich mich letztendlich entschieden. Zunächst wollte ich die Brutalität der Natur einfangen, durch einen entstehenden, verzerrten Kontrast zwischen realen Aufnahmen und weitere Bearbeitung dieser Videos. Dafür bin ich in den Wald gegangen und habe viele Nahaufnahmen gemacht: Blätter, Gras, Moor, sowie bewegte Aufnahmen knapp über dem Boden, um die Bewegung des Weisen zu simulieren. Zusätzlich wollte ich eine weitere Perspektive einbauen, indem ich mich selbst filmte und später abstrahiert und als wandelnden Schatten darstellte.

Ich ging diesmal sehr intuitiv vor, im Gegensatz zum ersten Versuch mit klarer Storyline. Ich wusste ungefähr, was ich erzählen wollte, aber mein Fokus lag mehr auf dem Spiel mit der Musik und weniger auf einer konkreten Erzählstruktur.

IV. Bildgestaltung & Abstraktionstechniken

Nach den Aufnahmen habe ich meine Idee aus der Übung zu Mahlers 1. Symphonie erneut eingebaut: Ich habe das Bild mittels Threshold und einem Bayer 8x8 Raster abstrahiert. Zudem nutzte ich Überlagerungen, um die Natur als kraftvoll und vielschichtig zu zeigen. Einige Elemente waren dabei nur in dunklen, andere nur in hellen Bildbereichen sichtbar. Diese Überlagerungen habe ich auf die Melodie der Musik abgestimmt.

Die Figur, die sich als Hintergrundelement durch den gesamten Abschnitt zieht, habe ich ebenfalls durch einen Threshold abstrahiert. Ihre Richtungswechsel orientieren sich am Rhythmus der großen Trommeln. Ab dem erwähnten Bruch des Stücks versuchte ich, die Macht und Wandlung der Musik visuell einzufangen, durch schnellere Bildfolgen und intensivere Überlagerungen.

V. Integration analoger Medien

Meine monochrome Vorstufe wollte ich ursprünglich analog ausdrucken, um das Digitale zu durchbrechen und die Übergänge zwischen den 2 musikalischen Teilen zu verdeutlichen. Bei 12 fps und 42 Sekunden Laufzeit hätte ich jedoch etwa 55 A4-Blätter drucken müssen, das erschien mir zu ressourcenintensiv. Weniger fps waren für mich keine Option, da das die Synchronität zur Musik zerstört hätte.

Demnach suchte ich nach einem neuen Element, das den Raum bricht, aber gleichzeitig einen roten Faden bildet. Dieses Element sollten meine Schuhe sein, damit konnte ich eine analoge Frame-by-Frame Animation in meine digitale Arbeit integrieren und beides verbinden.

Ich habe meine Schuhe aus verschiedenen Richtungen durchs Bild laufen lassen und jeden Frame fotografiert. Anschließend habe ich das Material in After Effects geladen, die Schuhe freigestellt und an die Trommelschläge angepasst. Zunächst vereinfachte ich sie zu weißen Flächen, doch sie nahmen, meines Erachtens, zu viel Platz in dem Video ein und waren nicht eindeutig als Schuhe erkennbar.

VI. Schuhabdrücke als visuelles Gestaltungselement

Um die Verbindung zur physischen Bewegung trotzdem zu verstärken, ohne zu viel Fläche einzunehmen, entschied ich mich schlussendlich dazu, selbst Fuß- und Schuhabdrücke zu erstellen. Ich bemalte meine Füße und Schuhsohlen mit Acrylfarbe und druckte sie auf Papier. Die Abdrücke habe ich eingescannt, in Illustrator vektorisiert und erneut passend zur Musik animiert. Letztendlich entschied ich mich für die Schuhsohlen, da sie eine interessantere Textur hatten und besser zur Atmosphäre des Waldes passten.

VII. Weiterentwicklung der Visualität

Im Verlauf der Visualisierung experimentierte ich immer wieder mit der Farbpalette, um eine stimmige Atmosphäre zu meinem Thema und den visuellen Elementen herzustellen. Letztlich entschied ich mich bewusst für erdige, „dreckige“ Farbtöne, die sich besser in die Waldumgebung einfügen und die Stimmung des Stücks unterstützen. Im zweiten Teil löst sich diese monochrome Welt auf, es entsteht ein buntes, visuelles Chaos. Der Threshold-Effekt verschwindet, stattdessen treten Farbverläufe hervor, um den musikalischen Bruch und die gesteigerte Intensität dieses Abschnitts visuell zu betonen.

Im Laufe meines Prozesses entschied ich zudem, die Hintergrundaufnahmen der Figur des Weisen erneut zu drehen. Die ursprünglichen Aufnahmen in Alltagskleidung wirkten zu beliebig. Ich warf mir ein Cape über und bewegte mich bewusster, “weiser” durch den Wald, damit die Figur stärker und glaubhafter erscheint. In den letzten Sekunden der Animation tritt der Weise dann aus dem Hintergrund in den Vordergrund, um schließlich direkt auf die Kamera zuzugehen. Dieses machtvolle Finale verleiht dem gesamten Aufbau von Musik und Visualisierung eine klare visuelle Auflösung.

Ein weiteres gestalterisches Element war das Visualisieren der Oboe: Durch ein leichtes, rhythmisches Rütteln des Bildschirms habe ich ihren klanglichen Spannungsaufbau aufgestellt, welche sich durch das restliche Stück zieht.

VIII. Finales Video

Reflektion

Die Entscheidung, mich auf dieses Projekt einzulassen, entstand aus meiner Neugier, klassische Musik besser zu verstehen und gestalterisch damit zu arbeiten. Anfangs fiel es mir schwer, mich komplett auf die Musikrichtung einzulassen. Doch im Laufe des Projekts habe ich gelernt, wie vielschichtig und emotional aufgeladen klassische Kompositionen sein können.

Die visuelle Umsetzung musikalischer Elemente war für mich eine neue, sehr bereichernde Erfahrung. Es war ein vertrauter Designprozess, aber in einem Medium, das mir fremd war. Besonders spannend war, wie sich durch Musik automatisch Bilder im Kopf formen und wie eng visuelle und auditive Wahrnehmung verknüpft sind.

Der Prozess war für mich oft herausfordernd, ich hatte viele Ideen, aber oft Schwierigkeiten, mich zu fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Gerade der Einstieg war für mich schwierig, ich habe lange gezögert weiter zu arbeiten, da ich mir kein Endergebnis vorstellen konnte, welches meinen Erwartungen erfüllt. Rückblickend war das eine wichtige Lehrerfahrung, die ich hieraus mitnehmen kann: kreative Prozesse verlaufen nicht geradlinig, ganz im Gegenteil ist es wichtig Umwege zu gehen und neue Ansätze zu probieren und vor allem nicht an etwas festzuhängen, wenn es sich nicht mehr stimmig anfühlt.

Auch wenn ich nicht alles umsetzen konnte, was ich mir vorgenommen hatte, nehme ich aus dem Projekt mit, wie wichtig es ist, dranzubleiben, sich Zeit zu geben und mehr Mut zu fassen, mehr zu experimentieren. Dieses Projekt war für mich eine intensive, ungewohnte und sehr lehrreiche Erfahrung, die mir einen ganz neuen Zugang zu Musik und Gestaltung gezeigt hat.