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NFA - Algen als Basis für einen Verbundwerkstoff mit Fasern & Geweben

NFA - Algen als Basis für einen Verbundwerkstoff mit Fasern & Geweben

Ein Verbundwerkstoff, der sich leicht recyceln lässt. Was sich einfach anhört, ist keine leichte Herausforderung. Deshalb beschäftigt sich diese Thesis mit der Entwicklung eines Faserverbundwerkstoffes, der vollständig biologisch abbaubar ist. Dazu werden verschiedene Algenkomponenten mit Fasern oder Geweben kombiniert.

Methode

In dieser Arbeit verwende ich das Material Driven Design (MDD), welches das Material in den Mittelpunkt des Designprozesses stellt. Basierend auf dem erworbenen Materialverständnis ist es das Ziel, ein ganzheitliches Bild des untersuchten Werkstoffs und seiner Rolle im Design zu erhalten. Um die verborgenen Potentiale eines Materials zu erforschen, wird es aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: technisch, experimentell, historisch und kontextuell. Parallel zur Materialentwicklung werden entsprechende Produktkonzepte entwickelt. Auf diese Weise ist es möglich, das Potenzial des Materials und eine mögliche Entwicklungsrichtung abzuschätzen. Der Fokus des MDD liegt also mehr auf der Entdeckung neuer Potenziale als auf der Übertragung bekannter Eigenschaften in ein Produkt.

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Faserverbundwerkstoffe

Verbundwerkstoffe sind besonders interessant, weil sie eine Vielzahl unterschiedlicher Eigenschaften annehmen können. Durch die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, verschiedene Materialien miteinander zu kombinieren, lassen sich immer wieder neue Verbundwerkstoffe herstellen, die für eine bestimmte Anwendung optimiert oder für eine Vielzahl von Anwendungen geeignet sind. Daraus ergibt sich unter anderem ein enormes Leichtbaupotenzial, d.h. ein gutes Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht, Korrosionsbeständigkeit, Langlebigkeit, hohe Schlagfestigkeit, elektrische oder thermische Isolation. Darüber hinaus bietet es eine hohe Gestaltungsfreiheit in der Geometrie eines Objekts. Verbundwerkstoffe bestehen immer aus zwei oder mehr Einzelstoffen, die so kombiniert werden, dass der entstehende Verbund eine neue, eigene Charakteristik erhält.

Algen & Naturfasern

Naturfasern sind in Verbundwerkstoffanwendungen schon lange nichts Neues mehr, auch wenn sie noch wenig vertreten sind. Sie können ein ähnliches Leistungspotential wie synthetische Fasern entwickeln und bringen darüber hinaus noch andere Qualitäten mit. Naturfasern haben ein hohes Schwingungsdämpfungsvermögen, ein gutmütiges Bruchverhalten und ihre Herstellung kann CO2-neutral und lokal erfolgen. Mit ihnen lässt sich ein geschlossener Kohlenstoffkreislauf realisieren. In meinen Experimenten verwende ich vorwiegend Leinen- und Hanfgewebe sowie lose Fasern aus Leinen, Hanf, Kokos, Moos, Baumwolle und Zellulose.

Diese Fasern und Gewebeschichten werden durch Algeninhaltsstoffe zusammengehalten. Konkret habe ich mit Natriumalginat, Agar und Carrageen experimentiert. Das sind Strukturkomponenten aus den Zellwänden von Braun- oder Rotalgen. Sie sorgen für die nötige Flexibilität und Festigkeit, um den extremen mechanischen Belastungen durch Meeresströmungen und Wellenbewegungen standzuhalten. In einer Versuchsreihe habe ich versucht, Alginat selbst zu gewinnen, aber alle drei Stoffe sind auch industriell aufbereitet als Pulver erhältlich. Zur Verarbeitung werden sie in Wasser aufgelöst und dann mit Fasern oder dem Gewebe in eine Form laminiert. Nach dem Trocknen erhält man ein festes Material.

Lebenszyklus

Neben den reinen Materialeigenschaften sind ökonomische und ökologische Aspekte wichtige Auswahlkriterien bei der Materialbeschaffung. Gerade letztere gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die Kreislauffähigkeit unserer Rohstoffe wird für ein nachhaltiges Wirtschaften unverzichtbar. Zukünftige Werkstoffe müssen sich in einem eigenen System bewegen können. Um die Umweltauswirkungen eines Materials zu beurteilen, gibt sein Lebenszyklus einen guten Überblick.

Der Lebenszyklus eines Naturfaser-Algen-Komposits besteht aus zwei Teilen: einem technischen und einem biologischen. Der technische Teil umfasst die Produktion, Nutzung, Sammlung und Sortierung, der biologische Teil die Nährstoffe, Kompostierung und den Anbau. Diese Stationen sind durch zwei ineinanderliegende Kreisläufe verbunden: einer für Pflanzenfasern und einen Algen. Die größten Umweltauswirkungen wird der NFA-Verbundwerkstoff voraussichtlich vor und nach seiner Nutzung haben. Die einzelnen Phasen des Lebenszyklus könnten wie folgt aussehen.

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Beginnen wir mit den biologischen Nährstoffen. Hier besteht derzeit ein Ungleichgewicht zwischen Land und Meer. Während die Ackerflächen ständig gedüngt werden, gelangen diese Nährstoffe über das Grundwasser und die Flüsse ins Meer. Dort reichern sie sich an. Diese Eutrophierung führt zu Algenblüten, die den Sauerstoffgehalt verringern. Um dem entgegenzuwirken, könnten Algen kontrolliert gezüchtet werden, die diese Nährstoffe filtern. Durch ihre Weiterverarbeitung werden die Nährstoffe zunächst gebunden und später an anderer Stelle wieder in den Nährstoffkreislauf zurückgeführt.

Die aktuellen Anbaubedingungen sind schwer zu ermitteln, da die Hersteller nur vage Angaben zur Lieferkette machen. Informationen über die ökologischen Aspekte des Anbaus wie Wasserverbrauch, Düngemittel- oder Pestizideinsatz sind jedoch wichtig, um die Auswirkungen auf die Umwelt zu bestimmen. Generell können Algen, Flachs und Hanf in Europa angebaut werden. Dadurch werden lokale Produzenten unterstützt und regionale Lieferketten gestärkt. Der Bedarf an importierten Rohstoffen und die damit verbundenen Transporte reduzieren sich.

In Gewässern wie der Ostsee könnten offene Algenfarmen neben der Ressourcengewinnung auch der Eutrophierung entgegenwirken. Zudem bieten sie Lebensraum für verschiedene Meerestiere, so dass Algenfarmen mit Fisch- oder Muschelzucht kombiniert werden können. Allerdings bedarf es eines überlegten Vorgehens und schonender Methoden. Es handelt sich immer noch um einen Eingriff in ein Ökosystem, dessen Folgen nicht vollständig abgeschätzt werden können.

Algen können auch in Bioreaktoren gezüchtet werden. Derzeit geschieht dies mit Mikroalgen. Gelingt es, aus ihnen einen geeigneten Inhaltsstoff zu gewinnen oder diese Technik auf Makroalgen zu übertragen, könnten sie auch im urbanen Umfeld als Luftfilter oder kühlende Fassadenelemente eingesetzt werden.

Die Biologin Robin Wall Kimmerer beschreibt ein Experiment, in dem der Einfluss unterschiedlicher Bewirtschaftungsformen auf das Pflanzenwachstum untersucht wurde. Interessanterweise entwickelte sich das leicht bewirtschaftete Feld besser als das sich selbst überlassene. Daraus lässt sich schließen, dass eine bewusste landwirtschaftliche Nutzung auch das Ökosystem stärkt.

Der Anbau von Faserpflanzen könnte im Rahmen einer naturnahen Landwirtschaft erfolgen. So könnte ein Agrarökosystem entstehen, das sowohl Rohstoffe produziert als auch zur Erhaltung der Biodiversität beiträgt. Darüber hinaus könnten Teile der Anbauflächen für die Agri-Photovoltaik genutzt werden, bei der Solaranlagen über landwirtschaftlich genutzten Flächen installiert werden. Dadurch entsteht eine Doppelnutzung der Fläche mit zusätzlicher Energiegewinnung und Beschattung. Dadurch würde der Bedarf an Energiepflanzen sinken und die frei werdenden Flächen stünden für andere Zwecke zur Verfügung.

Die industriell aufbereiteten Rohstoffe sind hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit ebenfalls schwer zu bewerten. Neben mechanischen Verfahren werden in einigen Prozessschritten auch Chemikalien eingesetzt. Deren Herstellung und Entsorgung müsste ebenfalls berücksichtigt werden. Leider ist es auch hier schwierig, einen tieferen Einblick zu bekommen.

Für die Herstellung des NFA-Verbundes habe ich immer manuelle Produktionsverfahren genutzt. Es müsste noch untersucht werden, wie diese auf ein industrielles Niveau skaliert werden können. Das Laminieren mit einer Innen- oder Außenform und gespannten Geweben hat gut funktioniert. Die getrockneten Verbundwerkstoffe können durch Erhitzen mit Wasserdampf thermoplastisch verformt werden. Mischungen mit kürzeren Fasern lassen sich auch in eine Form “gießen”.

In der Nutzungsphase kommen technische Eigenschaften wie Stabilität, Haptik oder Gewicht zum Tragen. Diese gilt es im Design optimal zu nutzen. Das Design beeinflusst aber auch die Lebensdauer von Material und Produkt. Transporteffizienz, Mehrfachnutzung, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit sind entscheidende Faktoren für die Entwicklung nachhaltiger Produkte. Während der Nutzungsdauer des Produkts dient das Material als CO2-Speicher und sollte daher möglichst lang halten.

Hier hat NFA den Vorteil, dass es vollständig biologisch abbaubar ist und nicht aufwendig aufgelöst werden muss. Klebeverbindungen sind auch mit Alginat realisierbar. Zunächst sollte jedoch geprüft werden, ob das Material für eine andere Anwendung wiederverwendet werden kann. Dies kann eventuell auch mit einer Degradation geschehen. Wenn dies nicht mehr möglich ist, besteht immer noch die Möglichkeit, Biogas zur Energiegewinnung und ein Substrat, das als Dünger verwendet werden kann, zu erhalten.

Experimente

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Jeder Versuch behandelt eine konkrete Fragestellung. Diese reichen von ganz allgemein bis hin zu Details. In dieser Matrix sind alle Versuche zu Kombinationen mit verschiedenen Bindemitteln und Geweben bzw. Fasern zu sehen. Hinzu kommen verschiedene Untersuchungen zu Herstellungsverfahren, Wasserbeständigkeit und Farbgebung. Um eine Vergleichbarkeit zu schaffen, werden die Proben einem Biegeversuch unterzogen, um ihre Stabilität zu überprüfen. Hinzu kommt eine visuelle Beurteilung, die sich aus den Kriterien Oberfläche, Form, Festigkeit/Homogenität und Verarbeitung zusammensetzt.

Design Konzept

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Das Designkonzept zielt darauf ab, ein Objekt zu schaffen, das die Qualitäten des Materials zeigt. Aufgrund der untersuchten Eigenschaften kristallisieren sich zwei große Anwendungsbereiche heraus.

Die aufwendige Herstellung und die hohen Kosten der Naturfasergewebe sprechen für einen Einsatz im Innenbereich über einen längeren Zeitraum. Insbesondere in Räumen mit vielen Schallquellen, wie Büros oder Messen, kann das Material die Raumakustik positiv beeinflussen. Im Außenbereich sind die biologische Abbaubarkeit und die problemlose Entsorgung von Vorteil. Das Material könnte für temporäre Strukturen oder Veranstaltungen eingesetzt werden.

Basierend auf den untersuchten Materialeigenschaften habe ich mich für einen Entwurf im Bürokontext mit mittelfristiger Nutzungsdauer entschieden. Der Fokus lag hier auf den akustischen Aspekten.

Es entstand ein modulares Konzept aus hexagonalen und pentagonalen Elementen. Diese können mit verschiedenen Verbindungsstücken an den Kanten zu einem Paneel oder einer Kuppel zusammengesetzt werden. Jedes Element besteht aus zwei Hälften, die Vorder- und Rückseite bilden. Die Geometrie der einzelnen Elemente erhöht die Stabilität und sorgt gleichzeitig für eine Streuung des Schalls. Hinzu kommt die schallabsorbierende Eigenschaft des Materials. Je nach Zusammensetzung der beiden Hälften entsteht zwischen ihnen ein Hohlraum, der die Schallübertragung weiter reduziert oder den Schall absorbiert.

Fazit

Das Konzept eines vollständig biologisch abbaubaren Verbundwerkstoffs funktioniert. Nach diesem Projekt würde ich eine erste große Iterationsphase als abgeschlossen betrachten. Der nächste Schritt wäre die Bearbeitung von Themen wie Wasser- bzw. Witterungsbeständigkeit. Ein Blick auf andere Algen und deren Inhaltsstoffe könnte hier Lösungsansätze liefern. Naturfasern eignen sich gut für den Einsatz in Verbundwerkstoffen. Hier sind es eher der Anbau und die Verarbeitung, welche noch näher untersucht werden sollten. Der NFA-Werkstoff ist im Vergleich zu Kompositen mit Kunststoffmatrix noch nicht so alltagstauglich. Es ist also noch viel Forschungsarbeit notwendig, um NFA zu einem praxistauglichen Material zu machen.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Intermediales Design

Art des Projekts

Masterarbeit

Betreuung

foto: Prof. Dr. Manuel Kretzer foto: Nicolai Neubert

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2023