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Kitsch - kritische Reflexion, kreative Transformation

Kitsch - kritische Reflexion, kreative Transformation

Meine Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen Kitsch – etwas, bei dem jede Person eine Vorstellung hat, es jedoch keine einheitliche, feststehende Definition gibt. Und wenn doch, dann ist diese oft negativ konnotiert und selten neutral. Kitsch hat bei mir immer schon irgendetwas ausgelöst, nicht ironisch, sondern emotional (Wärme, Spaß und Nähe). Doch was ich als wertvoll empfinde, wird gesellschaftlich oft abgewertet. Ziel meiner Arbeit war es daher, Kitsch nicht länger in die Ecke des Geschmacksverfalls zu drängen, sondern herauszufinden, was wirklich hinter diesem Phänomen steckt. Dabei werden die gesellschaftlichen Mechanismen, die zur Abwertung von Kitsch beitragen, kritisch reflektiert, und Kitsch wird mit einem offenen Blick jenseits gängiger Klischees betrachtet, der seine Qualitäten zum Vorschein bringt, diese würdigt und ins Zentrum rückt. Diese Arbeit ist eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kitsch, deren Erkenntnisse in konzeptuelle Objekte übersetzt wurden, um Kitsch nicht nur kritisch zu reflektieren, sondern auch seine Wirkung, Ästhetik und emotionalen Qualitäten erlebbar zu machen.

„Das ist mir viel zu kitschig. Fehlt nur noch der Sonnenuntergang und die Geige im Hintergrund.“ Urteile fallen schnell – oft, bevor wir überhaupt verstehen, was wir da abwerten.

Recherche

Um ein tieferes Verständnis für das Phänomen Kitsch zu entwickeln, vereint dieser Teil meiner Arbeit verschiedene Perspektiven: eine Umfrage zu persönlichen Vorstellungen von Kitsch, die historische Entwicklung des Begriffs, theoretische Positionen sowie die ästhetischen Merkmale und Wirkungsweisen von Kitsch und das Thema von Emotionen in der Gestaltung in Bezug auf Bindung. 

Ich habe Kitsch aus historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Blickwinkeln untersucht und seine unterschiedliche Wahrnehmung in Kunst, Design und Alltagskultur analysiert bzw. kommentiert.

Wikipedia Definition: „Kitsch steht zumeist abwertend als Synonym für etwas, das unnötigerweise Gefühle oder Sehnsüchte wachruft. „Kitsch“ steht heute überwiegend für alles, was als übertrieben rührselig, anbiedernd oder niedlich empfunden wird, oder auch für Dinge, die oberflächlich „schick“ und praktisch wirken, aber letztendlich völlig überflüssig sind (vergleiche Ramsch).“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Kitsch)

Auch die durchgeführte Umfrage mit 43 Teilnehmer:innen zeigt: Kitsch ist vielschichtig, individuell geprägt, emotional aufgeladen, wird häufig mit ähnlichen Inhalten assoziiert und wird meist nicht all zu positiv angesehen:

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Um diese Einschätzungen visuell greifbarer zu machen, habe ich typische Bildmotive gesammelt, die in der Umfrage bereitgestellt, genannt oder allgemein mit Kitsch assoziiert werden.

Die Bildauswahl macht deutlich, wie Kitsch auf emotionaler Ebene funktioniert: durch vertraute, positive, überzeichnete oder symbolisch aufgeladene Motive, die ohne großen intellektuellen Aufwand eine unmittelbare Wirkung erzeugen. Dazu gehören etwa Sonnenuntergänge, Herzen, Paare, Tiere, Blumen, Engel oder sentimentale Sprüche, also Motive, die leicht zugänglich und emotional lesbar sind.

Viele dieser Bilder spiegeln die Eigenschaften wider, die auch in der Umfrage genannt wurden: Romantisierung, Nostalgie, Übertreibung, Verniedlichung oder Symbolhaftigkeit. Sie machen sichtbar, wie Kitsch über vertraute Formen, klare Botschaften und emotionale Überladung wirkt, oft durch dekorative Fülle, vereinfachte Darstellungen und stereotype Motive, die schnell erfassbar sind und unmittelbare Gefühle auslösen. Seine Ansprache ist dabei universell, denn sie berührt ohne komplexe Referenzsysteme, sie ist direkt, emotional und niedrigschwellig.

Diese visuelle Ebene ist zentral für das Verständnis seiner Wirkung – und zugleich Ausgangspunkt für seine Abwertung.

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Die Recherche bildet den Ausgangspunkt dieser Arbeit und war vor allem geprägt von der Faszination für die Ambivalenz, die Kitsch umgibt. Kitsch bewegt sich ständig zwischen Gegensätzen: Er wird einerseits als gefühlsbetont, schön oder tröstend empfunden und stellt liebevolle, spaßige Dinge dar und zugleich wird er als übertrieben, unecht oder geschmacklos abgelehnt. Diese widersprüchliche Wahrnehmung macht Kitsch zu einem spannungsvollen Phänomen. Gerade diese Spannbreite hat mein Interesse geweckt: Wie kann etwas, das vielen Menschen emotional viel bedeutet, gleichzeitig als wertlos gelten? Und was sagt diese Haltung über uns aus?

Kitsch ist ein viel diskutiertes Thema, das in Kunst, Design und Kultur immer wieder kontrovers bewertet wird, vor allem aber wurde. In den unterschiedlichen Positionen, die ich im Rahmen der Recherche gelesen habe, fällt besonders auf, dass viele abwertende Haltungen aus elitären, privilegierten, meist männlich geprägten Perspektiven stammen, die Kitsch als trivial, oberflächlich, sentimental, nieder oder geschmacklos abstempeln.

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Genau das hat mich neugierig gemacht.

Die Entstehung von Kitsch ist eng mit gesellschaftlichen Umbrüchen und der aufkommenden Konsumkultur der Industrialisierung verbunden, wobei Kitsch oft als Ausdruck der ästhetischen Vorlieben der breiten Masse abgewertet wurde: ein Prozess, der stark von klassistischen Strukturen geprägt ist. Die fast ausschließlich negativen Einschätzungen, auf die ich zu Beginn gestoßen bin, haben mich irritiert und gleichzeitig motiviert, tiefer zu graben und gezielt nach positiven Perspektiven zu suchen. Dabei wurde schnell klar: Kitsch ist viel mehr als nur oberflächliche „Geschmacklosigkeit“, er ist ein emotionales und soziales Phänomen. Seine Popularität speist sich nicht aus Zufall, sondern aus dem Bedürfnis nach Ausdruck, Zugehörigkeit und Teilhabe. Kitsch ermöglicht Menschen, auf eine Art Gefühle sichtbar zu machen, sich selbst darzustellen und kulturelle Verbundenheit zu zeigen und das oft jenseits akademischer oder elitärer Diskurse. Diese Erkenntnisse zeigen, dass Kitsch nicht einfach abgewertet, sondern als Ausdruck menschlicher Emotionen, sozialer Identität und kultureller Praxis verstanden und ernst genommen werden sollte.

Ausgehend davon habe ich mich intensiver mit den gesellschaftlichen Mechanismen beschäftigt, die zur Abwertung von Kitsch beitragen, und diese kritisch reflektiert.

Kritischer Blick

Mit kritischem Blick haben ich schnell erkannt, dass die Abwertung des Kitsches weit über reine Geschmacksfragen hinausgeht. Die negative Wahrnehmung von Kitsch ist kein Zufall, sondern tief in gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt. Oft wird er als Zeichen von schlechtem Geschmack, Oberflächlichkeit oder Trivialität betrachtet, doch diese Urteile sind nicht neutral. Sie spiegeln klassistische Denkmuster, patriarchale Vorstellungen und eurozentrische Ästhetiknormen wider. 

Ich habe mich also näher mit Klassismus, Geschmack, Sexismus und Eurozentrismus beschäftigt und den Kitsch und seine Abwertung dahingehend untersucht. 

So wird Kitsch häufig mit dem „Weiblichen“ assoziiert und dadurch abgewertet, weil in einer patriarchalen Gesellschaft Emotion, Verspieltheit und Sentimentalität als minderwertig gelten. Gleichzeitig zeigt sich auch eine klassistische Dimension: Während die sogenannte „hohe Kunst“ einer privilegierten Elite vorbehalten ist, wird Kitsch als massentauglich und damit als minderwertig abgestempelt. Auch in der Designwelt sind diese Mechanismen erkennbar: der weit verbreitete Leitsatz „form follows function“ beispielsweise folgt einer rationalen, „männlich“ konnotierten Gestaltungsidee, während ornamentale oder verspielte Formen als überflüssig gelten.

Aus der gestalterischen Praxis kennen wir diese Maßstäbe gut, sie prägen immer noch unseren Blick auf Qualität, unsere Ausbildung, unsere Vorbilder. Und genau deshalb ist der Reflex, Kitsch abzulehnen, oft tief verankert , nicht weil er „schlecht gestaltet“ ist, sondern weil er nicht in das Raster dieser Prinzipien passt, die als professionell oder gestalterisch wertvoll gelten bzw. als solche vermittelt werden.

Diese strukturellen Abwertungen lassen sich nicht nur auf Geschlecht und Klasse, sondern auch auf eurozentrische Normen zurückführen. Westliche Designprinzipien wie Minimalismus und Funktionalismus werden als universell gültig betrachtet, während üppige, farbenfrohe oder ornamentale Ästhetiken, die in vielen nicht-westlichen Kulturen eine zentrale Rolle spielen, als geschmacklos oder primitiv abgewertet werden.

Deswegen ist es enorm wichtig, unsere Gewohnheiten und gelernten Prinzipien nicht als neutral oder selbstverständlich hinzunehmen, sondern kritisch zu hinterfragen: Wer bestimmt, was als „gute“ Gestaltung gilt und was fällt dabei systematisch durchs Raster?

Je tiefer ich mich mit diesen Zusammenhängen beschäftigt habe, desto klarer wurde:

Die Abwertung von Kitsch ist kein zufälliges ästhetisches Urteil, sondern kann als ein Ausdruck gesellschaftlicher Machtstrukturen gewertet werden.

Und das hat auch eine große Bedeutung im Design. Denn Design ist nie neutral – es spiegelt auch gesellschaftliche Normen wider, kann sie aber auch hinterfragen.

Ich hatte das Gefühl, dass die Auseinandersetzung mit Kitsch mir die Möglichkeit bieten könnte mich auch mit gesellschaftlichen Mechanismen im Design auseinanderzusetzen. Damit hing für mich die Betrachtung des Kitsches und seiner Einordnung bzw. Abwertung stark mit unserer Designpraxis zusammen, denn auch diese unterliegt Wertungen und wertet selber.

Und am Ende des kritischen Blicks stand für mich: 

Die Art und Weise, wie Kitsch abgewertet wird, sagt mehr über gesellschaftliche Machtstrukturen aus als über den Kitsch selbst! Was bleibt, wenn wir die  Abwertung des Kitsches außen vor lassen. Was ist der Kitsch denn dann?

Offener Blick

Mit offenem Blick durch die Welt zu gehen bedeutet für mich, ständig den eigenen Standpunkt zu überprüfen und nicht einfach bestehenden Meinungen hinterherzulaufen. Nur so können wir als Gestalter:innen Verantwortung übernehmen und tatsächlich etwas verändern. 

Ich werfe also dem Kitsch einen offenen Blick zu, hinterfrage bestehende Meinungen und eröffne neue Perspektiven. 

Der offene Blick ergibt sich auf theoretischer textlicher Ebene und auf praktischer objektartiger Ebene. Das bedeutet, das ich reflektierte Inhalte und Erkenntnisse über die Chancen und Potentiale des Kitsches in Form von Objekten gestaltet habe. Jeder positive Aspekt des Kitsches wird in einem Objekt dargestellt.

Kitsch ist lustig, bunt, zugänglich, leicht verständlich und emotional wirkungsvoll. So auch die Gestaltung der entstandenen Objekte. (aber natürlich im Charlotten-Stil)

Kitsch ist unseren Emotionen nahe

Emotionen sind der Kern unserer Menschlichkeit. Sie prägen uns und wie wir die Welt aufnehmen, Entscheidungen treffen und Verbindungen eingehen. Sie geben dem Leben Bedeutung und schmücken es aus. Emotionen sind nicht einfach nur Reaktionen, sie sind vielmehr der Anfang für ein tiefes Verständnis von einem selber, dem Sein und der Umgebung. Beim Kitsch spielen sie die größte Rolle, wenn es sich auch nur um scheinbar oberflächliche Emotionen handelt, er spricht Emotionen sehr direkt an, eine Funktion, die über das rein Praktische hinausgeht. Dieser Funktion wurde in der Vergangenheit des Design nie viel Aufmerksamkeit geschenkt.

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Um die bestehende Meinung über die Bedeutung von Emotionen zu hinterfragen, habe ich einen klassischen Stuhl (als Symbol für Design, Funktion und die Nutzung durch eine einzelne Person) umgebaut. Der Stuhl wird zu einem demokratischen, emotionalen Objekt: Er ist für zwei Menschen gedacht, die sich durch die einander zugewandte Anordnung aktiv aufeinander beziehen müssen. Es entsteht ein Moment der Absprache, der Nähe und des Miteinanders. Die Form folgt hierbei klar der Emotion, beide Stühle wenden sich einander zu, verbinden sich räumlich, um einen Ort des Austauschs zu schaffen. Sie bieten nicht nur Platz, sondern auch Gelegenheit: zur Teilhabe, zum Gespräch, zur Auseinandersetzung mit dem Gegenüber und mit dem Objekt selbst. Die Gestaltung lädt dazu ein, sich gemeinsam wohlzufühlen, gemeinsam zu nutzen und Gestaltung als etwas Verbindendes neu zu denken.

Kitsch kann Sicherheit schenken

Durch seine vertrauten, harmonischen und positiven Motive kann er einen emotionalen Rückzugsort schaffen, der Geborgenheit schenkt. Er schafft einen Raum der Vertrautheit und Ruhe, in dem von uns nichts abverlangt wird: kein intellektuelles Verstehen, keine kritische Auseinandersetzung, keine Distanz. Im Gegensatz dazu fordern viele zeitgenössische Design- oder Kunstkonzepte unsere Analyse, unsere Haltung, manchmal sogar unsere Überforderung. Kitsch hingegen lässt uns fühlen, ohne zu hinterfragen. Genau darin liegt seine Kraft aber auch sein Stigma. 

Gerade in Zeiten globaler Unsicherheit, sozialer Spannungen und permanenter Überforderung gewinnt das Bedürfnis nach emotionaler Sicherheit an Bedeutung. Selbst wenn wir materiell in Sicherheit leben, wirken politische, ökologische oder gesellschaftliche Krisen bis in unsere Innenräume hinein. Kitsch kann in diesem Kontext als eine Form der emotionalen Selbstfürsorge verstanden werden, also als stiller Gegenentwurf zu einer Welt, die uns ständig fordert, beurteilt und beschleunigt.

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Kitsch kann sich anfühlen wie eine warme, dicke Umarmung. Für einen Moment fühlt sich mensch geborgen und alle Probleme pausieren. Ein Kissen in Form einer überdimensionalen Umarmung, in Kitschfarben und Materialien, kann dich halten und dir einen Moment Glückseligkeit schenken. 

(bei Interesse an einem solchen Kissen - gerne auf mich zukommen, ich freue mich total, euch n Umarmung zu nähen!) 

Kitsch kann träumen lassen

„In Träumen können wir unserer Welt auf eine Weise begegnen, die frei ist von jeglicher Restriktion. In ihnen können wir sein, wer wir sein wollen, tun, was wir tun wollen, und sehen, was wir nicht sehen können. In der Traumwelt können wir uns unsere Welt malen, wie sie sein oder nicht sein soll. Wir können Berge versetzen und unsere Umwelt umbauen, ohne nur einen Muskel zu bewegen - dabei ist der Traum für einen kurzen Moment Realität.“ - M.Michael, T. Gernegroß „Stadt im Fluss“ (2023)

Träume lassen uns also einerseits erkennen, wonach wir uns sehnen, was wir brauchen und was uns wirklich wichtig ist. Und andererseits, geben sie uns die Kraft Welten zu denken in denen unsere Vorstellungen realistisch sind. Damit wirkt Kitsch als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte und schenkt uns die Freiheit und Fähigkeit, unsere Traumwelt kurz zu erleben, die uns motiviert oder vielleicht einfach nur glücklich macht. Denn die Freiheit, unrealistisch zu denken, kann inspirieren, entspannen und neue Perspektiven eröffnen, sei es durch Träume, die Hoffnung wecken, Visionen, die Möglichkeiten aufzeigen, oder durch Fantasien, die uns für einen Augenblick entfliehen lassen.

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Kitsch kann als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte wirken und schenkt uns die Freiheit und Fähigkeit, unsere Traumwelt kurz zu erleben, die uns motiviert oder vielleicht einfach nur glücklich macht. 

Um diesen Aspekt des Kitsches, der Möglichkeit des Träumens darzustellen habe ich einen Traum visualisiert, einen Traum von einer „heilen Welt“. Basierend auf Umfragen meiner Mitmenschen zu deren Vorstellungen einer „heilen Welt“. Erstellt mit verschiedenen KI-Bild-Tools, welche sich perfekt für idealisierte, unrealistische und kitschige Darstellungen eignen.

In Form eines Vorhangs: Ein Vorhang hat die Möglichkeit etwas zu verdecken oder auszublenden. Ein Vorhang, den wir selbst öffnen oder schließen können. Ein Moment des Übergangs zwischen Realität und Wunschwelt.

Kitsch ist zugänglich, ermöglicht Teilhabe und kann empowernt sein

Kitsch hat nicht nur positive psychologisch Aspekte, sondern auch positive soziale Aspekte: Seine universelle und leicht zugängliche Ansprache macht ihn zu einem demokratischen Medium, das kulturelle Barrieren überwindet und Gemeinschaft fördert. Durch die starke emotionale Wirkung von Kitsch entsteht eine Verbindung, die unabhängig von Bildung, Herkunft oder sozialem Status ist. Seine Fähigkeit, Emotionen direkt und unkompliziert anzusprechen, schafft Teilhabe. Kitsch bzw. die Auseinandersetzung mit Kitsch kann außerdem als Symbol für Empowerment und Inklusion verstanden werden. Indem durch ihn bestehende Normen infrage gestellt werden und sich über elitäre Hierarchien hinwegsetzt, schafft er Platz für Vielfalt und das Recht auf unterschiedliche Geschmäcker und Perspektiven.

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Um die sozialen Aspekte des Kitsches darzustellen habe ich ein vielseitiges Objekt gewählt. Ein Objekt welches unterschiedliche Gedanken tragen kann und diese kommuniziert. Ein Wandteller, als typisches Kitsch-Medium, ist ideal um Inhalte auf eine subtile Art und Weise zu teilen. Inhaltlich greife ich die positiven sozialen Aspekte des Kitsches auf: Zugänglichkeit, Vielfalt, Teilhabe und Empowerment und kommuniziere sich in typischen „Wandteller-Sprüchen“.

Das Manifest

Der Ausgangspunkt dieses Manifests ist die Abwertung, die Kitsch, auch von uns, über Generationen hinweg erfahren hat, eine Abwertung, die, wie wir gelernt haben, unter anderem tief in ­patriarchalen, klassistischen und eurozentrischen Machtstrukturen verankert ist. Hier liegt die Chance den Kitsch davon zu befreien und ihm eine neue Definition zu geben. Das Manifest ist eine Verteidigung des Kitsches, eine Neudefinition, für ein Wort ohne eindeutige Definition, und ein Aufruf zur Reflexion und Neugestaltung. 

Es ist mein Werkzeug, eine relevante Perspektive auf Design für Gestaltende zu eröffnen. Es zeigt, dass Gestaltung politisch ist, dass sie Verantwortung trägt und dass sie durch Emotionen und Vielfalt zu einer Kraft für positive Veränderung werden kann. Dieses ­Manifest fordert nicht nur dazu auf, dem Kitsch Verständnis zu zeigen, sondern seine genannten positiven Aspekte als Inspiration und Chance zu begreifen. Eine Chance, Ästhetik zu demokratisieren, Emotionen zu feiern und eine Gestaltung zu schaffen, die der Menschlichkeit dient. 

Es geht mir darum, dass Gestaltende die eigene Perspektive hinterfragen, neue Sichtweisen zulassen und sich bewusst mit den Mechanismen beschäftigen, die Ausdrucksformen bewerten und ordnen. Es geht dabei nicht nur allein um den Kitsch, Kitsch kann hierbei als ein Sinnbild für all jene ästhetischen Ausdrucksformen verstanden werden, die außerhalb etablierter Gestaltungskriterien liegen und gerade deshalb gesellschaftliche Bewertungen, Hierarchien und Ausschlüsse sichtbar machen.

Dieses Manifest soll kein fertiges oder statisches Dokument sein, sondern ein Anfang für einen Dialog über Ästhetik, Machtstrukturen, Menschlichkeit und Werte. Ich möchte Gedanken, Gefühle und Gespräche auslösen.

An diesem Punkt ist noch einmal wichtig zu erwähnen, dass es mir um das Aufmerksam-Machen auf die diskriminierenden Gründe der Abwertung und die Ansehen der Chancen des Kitsches geht. Kitsch dient hierbei als Metapher für eine liebevolle, emotionale, positive, einfache Gestaltung. Es ist klar, das Kitsch auch negative Seiten an sich hat. Diese können auch diskutiert werden, aber erst nach dem die diskriminierende Abwertung aufgearbeitet worden ist. Und bis dahin gilt es den Kitsch zu verstehen, anzusehen und vielleicht von ihm zu lernen:

Oh Kitsch - Mit Gefühl und Zugänglichkeit für kollektives Grenzenbrechen und Brückenbauen in der Gestaltung

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Dokumentation

Charlotte_Quandt.pdf PDF Charlotte_Quandt.pdf

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Meine Bachelorarbeit umfasst ein Buch, das Recherche, theoretische Auseinandersetzung und die Dokumentation meines Gestaltungsprozesses vereint. Ergänzt wird es durch ein Manifest sowie ein Fotoheft, das Kitsch in meiner unmittelbaren Umgebung fotografisch dokumentiert. Zudem ist eine Sammlung von acht Objekten entstanden, die zentrale Erkenntnisse der Arbeit gestalterisch übersetzen.

Abschlussgedanken

Was für die meisten oberflächlich, minderwertig oder geschmacklos ist, hat sich als ein unglaublich vielschichtiges und bedeutendes kulturelles Phänomen entpuppt. Besonders wichtig war für mich die Erkenntnis, dass viele der Vorurteile gegenüber Kitsch in tief verwurzelten Machtstrukturen und diskriminierenden Normen begründet sind. Diese Einsicht unterstreicht die dringende Notwendigkeit, bestehende Normen und Werte kritisch zu hinterfragen, um Vielfalt und Inklusion einen Weg zu ebnen. Wenn in der Auseinandersetzung mit dem Kitsch, schon so viel Bedeutung steckt, wo ist eine solche Auseinandersetzung dann außerdem denkbar und notwendig? Müssen wir uns, als Gestalter:innen, bewusster darüber werden, dass selbst die kleinsten, scheinbar unbedeutenden Dinge gesellschaftliche Strukturen widerspiegeln? Und was genau bedeutet das für unsere Praxis? Sind wir uns der Wirkung und der Verantwortung unserer Entscheidungen wirklich bewusst? Wir als Menschen sind nie neutral, so auch nicht als Gestalter:innen und so auch nicht unsere Arbeit. Jeder noch so kleine gestalterische Eingriff kann gesellschaftliche Strukturen widerspiegeln oder beeinflussen.

Für mich liegt die Kraft des Kitsches eben in seinen menschlichen Dimensionen, wie seiner Offenheit, seiner Zugänglichkeit und seiner Fähigkeit, emotionale Verbindungen zu schaffen. Er zeigt, dass Gestaltung nicht immer rational oder intellektuell sein muss, um wirkungsvoll zu sein, manchmal reicht es, einfach ein Lächeln hervorzurufen oder Geborgenheit zu schenken. Diese Qualitäten sind inspirierend, sowohl für die kreative Praxis als auch im alltäglichen Leben.

Die Arbeit an diesem Projekt hat mir einmal mehr bestätigt, dass mein gestalterisches Ziel noch nie darin lag, etwas vollkommen Neues oder Perfektes zu schaffen. Vielmehr geht es mir darum, Fragen zu stellen, Prozesse anzustoßen und Räume zu eröffnen, für Reflexion, Austausch und Weiterentwicklung. Gestaltung ist eine Form der Auseinandersetzung mit der Welt.

Diese Arbeit ist ein Anfang und kein Ende - ich bin gespannt auf unterschiedliche Meinungen und freue mich, wenn sich ein Raum zum Nachdenken und Diskutieren, zum Hinterfragen und Neudenken ergibt.

🩷 kleine Empfehlung:

Eine Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt zu eben meinem Thema „The Cute Escape. Empathie, Empowerment, Empfindsamkeit“

https://www.instagram.com/thecuteescape/

Fachgruppe

Integriertes Design

Art des Projekts

Bachelorarbeit

Betreuer_in

foto: Nicolai Neubert foto: uwe gellert

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2024 / 2025

Keywords