In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen Kitsch – etwas, bei dem jede Person eine Vorstellung hat, es jedoch keine einheitliche, feststehende Definition gibt. Und wenn doch, dann ist diese oft negativ konnotiert und selten neutral. Ziel dieser Arbeit war es, Kitsch nicht länger in die Ecke des Geschmacksverfalls zu drängen, sondern herauszufinden, was wirklich hinter diesem Phänomen steckt. Dabei werden die gesellschaftlichen Mechanismen, die zur Abwertung von Kitsch beitragen, kritisch reflektiert und Kitsch wird mit einem offenen Blick betrachtet, der seine Qualitäten hervorhebt und einordnet. Diese Arbeit ist eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kitsch, deren Erkenntnisse in konzeptuelle Objekte übersetzt wurden, um Kitsch nicht nur kritisch zu reflektieren, sondern auch seine Wirkung, Ästhetik und emotionalen Qualitäten erlebbar zu machen.
Die Recherche bildet den Ausgangspunkt dieser Arbeit und war geprägt von der Faszination für die Ambivalenz, die Kitsch umgibt. Kitsch ist ein viel diskutiertes Thema, das in Kunst, Design und Kultur immer wieder kontrovers bewertet wird – vor allem aber wurde. Die meisten abwertenden Meinungen stammen von elitären, privilegierten, meist männlichen Stimmen aus Theorie und Kulturkritik, die Kitsch als trivial, oberflächlich oder geschmacklos abstempeln. Genau das hat mich neugierig gemacht. Die Entstehung von Kitsch ist eng mit gesellschaftlichen Umbrüchen und der aufkommenden Konsumkultur verbunden, wobei Kitsch oft als Ausdruck der ästhetischen Vorlieben der breiten Masse abgewertet wurde – ein Prozess, der stark von klassistischen Strukturen geprägt ist. Die fast ausschließlich negativen Einschätzungen, auf die ich zu Beginn gestoßen bin, haben mich irritiert und gleichzeitig motiviert, tiefer zu graben und gezielt nach positiven Perspektiven zu suchen. Dabei wurde schnell klar: Kitsch ist viel mehr als nur oberflächliche „Geschmacklosigkeit“ – er ist ein emotionales und soziales Phänomen. Diese Erkenntnisse zeigen, dass Kitsch nicht einfach abgewertet, sondern als Ausdruck menschlicher Emotionen und kultureller Praxis verstanden und ernst genommen werden sollte.
Ausgehend davon habe ich mich intensiver mit den gesellschaftlichen Mechanismen beschäftigt, die zur Abwertung von Kitsch beitragen, und diese kritisch reflektiert.
Mit kritischem Blick haben ich schnell erkannt, dass die Abwertung des Kitsches weit über reine Geschmacksfragen hinausgeht. Die negative Wahrnehmung von Kitsch ist kein Zufall, sondern tief in gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt. Oft wird er als Zeichen von schlechtem Geschmack, Oberflächlichkeit oder Trivialität betrachtet – doch diese Urteile sind nicht neutral. Sie spiegeln klassistische Denkmuster, patriarchale Vorstellungen und eurozentrische Ästhetiknormen wider.
Ich habe mich also näher mit Klassismus, Geschmack, Sexismus und Eurozentrismus beschäftigt und den Kitsch und seine Abwertung dahingehend untersucht.
So wird Kitsch häufig mit dem „Weiblichen“ assoziiert und dadurch abgewertet, weil in einer patriarchalen Gesellschaft Emotion, Verspieltheit und Sentimentalität als minderwertig gelten. Gleichzeitig zeigt sich auch eine klassistische Dimension: Während die sogenannte „hohe Kunst“ einer privilegierten Elite vorbehalten ist, wird Kitsch als massentauglich und damit als minderwertig abgestempelt. Auch in der Designwelt sind diese Mechanismen erkennbar – der weit verbreitete Leitsatz „form follows function“ beispielsweise folgt einer rationalen, „männlich“ konnotierten Gestaltungsidee, während ornamentale oder verspielte Formen als überflüssig gelten.
Diese strukturellen Abwertungen lassen sich nicht nur auf Geschlecht und Klasse, sondern auch auf eurozentrische Normen zurückführen. Westliche Designprinzipien wie Minimalismus und Funktionalismus werden als universell gültig betrachtet, während üppige, farbenfrohe oder ornamentale Ästhetiken, die in vielen nicht-westlichen Kulturen eine zentrale Rolle spielen, als geschmacklos oder primitiv abgewertet werden.
Je tiefer ich mich mit diesen Zusammenhängen beschäftigt habe, desto klarer wurde:
Die Abwertung von Kitsch ist kein zufälliges ästhetisches Urteil, sondern kann als ein Ausdruck gesellschaftlicher Machtstrukturen gewertet werden.
Und das hat auch eine große Bedeutung im Design. Denn Design ist nie neutral – es spiegelt auch gesellschaftliche Normen wider, kann sie aber auch hinterfragen.
Ich hatte das Gefühl, dass die Auseinandersetzung mit Kitsch mir die Möglichkeit bieten könnte mich auch mit gesellschaftlichen Mechanismen im Design auseinanderzusetzen. Damit hing für mich die Betrachtung des Kitsches und seiner Einordnung bzw. Abwertung stark mit unserer Designpraxis zusammen, denn auch diese unterliegt Wertungen und wertet selber.
Und am Ende des kritischen Blicks stand für mich:
Die Art und Weise, wie Kitsch abgewertet wird, sagt mehr über gesellschaftliche Machtstrukturen aus als über den Kitsch selbst - Was bleibt, wenn wir die Abwertung des Kitsches außen vor lassen. Was ist der Kitsch denn dann?
Mit offenem Blick durch die Welt zu gehen bedeutet für mich, ständig den eigenen Standpunkt zu überprüfen und nicht einfach bestehenden Meinungen hinterherzulaufen. Nur so können wir als Gestalter:innen Verantwortung übernehmen und tatsächlich etwas verändern.
Dem Kitsch wird ein offener Blick zu geworfen, bestehende Meinungen wurden und werden hinterfragt und eine neue Perspektive eröffnet sich.
Der offene Blick ergibt sich auf theoretischer textlicher Ebene und auf praktischer objektartiger Ebene. Das bedeutet, das reflektiere Inhalte und Erkenntnisse über die Chancen und Potentiale des Kitsches in Form von Objekten gestaltet werden. Jeder positive Aspekt des Kitsches wird in einem Objekt dargestellt.
Kitsch ist lustig, bunt, zugänglich, leicht verständlich und emotional wirkungsvoll. So auch die Gestaltung der entstandenen Objekte.
Kitsch ist unseren Emotionen sehr nahe
Emotionen sind der Kern unserer Menschlichkeit. Sie prägen uns und wie wir die Welt aufnehmen, Entscheidungen treffen und Verbindungen eingehen. Sie geben dem Leben Bedeutung und schmücken es aus. Emotionen sind nicht einfach nur Reaktionen, sie sind vielmehr der Anfang für ein tiefes Verständnis von einem selber, dem Sein und der Umgebung. Beim Kitsch spielen sie die größte Rolle, wenn es sich auch nur um scheinbar oberflächliche Emotionen handelt, er spricht Emotionen sehr direkt an, eine Funktion, die über das rein Praktische hinausgeht. Dieser Funktion wurde in der Vergangenheit des Design nie viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Um die bestehende Meinung über die Bedeutung von Emotionen zu hinterfragen, habe ich einen klassischen Stuhl, als Symbol für das Design, für Funktion und für Benutzung einer einzelnen Person, umgebaut. Der Stuhl wird zu einem demokratischen, emotionalen Objekt. Ein Objekt, welches für zwei Menschen vorgesehen ist und bei dem durch die zugewandte Anordnung eine Absprache nötig ist und eine Nähe geschaffen werden kann. Der Stuhl soll das in Verbindung gehen mit Mitmenschen darstellen. Die Form folgt hierbei klar der Emotion, beide Stühle wenden sich zueinander, verbinden sich miteinander und geben damit Fläche, damit sich auch die Nutzenden näher kommen können und verbinden können.
Kitsch kann Sicherheit schenken
Durch seine vertrauten, harmonischen und positiven Motive kann er einen emotionalen Rückzugsort schaffen, der Geborgenheit schenkt. Er schafft einen Raum der Vertrautheit und Ruhe, in dem von uns nichts abverlangt wird. Die Bedeutung des Gefühls von Sicherheit nimmt in unserem Leben mit der aktuellen und sich entwickelnden Weltsituation zunehmen an. Auch wenn wir vielleicht in einem geschützten Heim mit allem Notwendigen für ein sicheres Leben sitzen, können uns äußere Unsicherheiten dennoch beeinflussen.
Kitsch kann sich anfühlen wie eine warme, dicke Umarmung. Für einen Moment fühlt sich mensch geborgen und alle Probleme pausieren. Ein Kissen in Form einer überdimensionalen Umarmung, in Kitschfarben und Materialien, kann dich halten und dir einen Moment Glückseligkeit schenken.
(bei Interesse an einem solchen Kissen - gerne auf mich zukommen, ich freue mich total, euch n Umarmung zu nähen!)
Kitsch kann träumen lassen
„In Träumen können wir unserer Welt auf eine Weise begegnen, die frei ist von jeglicher Restriktion. In ihnen können wir sein, wer wir sein wollen, tun, was wir tun wollen, und sehen, was wir nicht sehen können. In der Traumwelt können wir uns unsere Welt malen, wie sie sein oder nicht sein soll. Wir können Berge versetzen und unsere Umwelt umbauen, ohne nur einen Muskel zu bewegen - dabei ist der Traum für einen kurzen Moment Realität.“
Träume lassen uns also einerseits erkennen, wonach wir uns sehnen, was wir brauchen und was uns wirklich wichtig ist. Und andererseits, geben sie uns die Kraft Welten zu denken in denen unsere Vorstellungen realistisch sind. Damit wirkt Kitsch als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte und schenkt uns die Freiheit und Fähigkeit, unsere Traumwelt kurz zu erleben, die uns motiviert oder vielleicht einfach nur glücklich macht. wie die Freiheit, unrealistisch zu denken, uns inspirieren, motivieren und entspannen kann – sei es durch Träume, die Hoffnung wecken, durch Visionen, die neue Möglichkeiten aufzeigen oder durch Welten die uns einfach kurz entfliehen lassen.
Kitsch kann als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte wirken und schenkt uns die Freiheit und Fähigkeit, unsere Traumwelt kurz zu erleben, die uns motiviert oder vielleicht einfach nur glücklich macht.
Um diesen Aspekt des Kitsches, der Möglichkeit des Träumens darzustellen habe ich einen Traum visualisiert, einen Traum von einer „heilen Welt“. Basierend auf Umfragen meiner Mitmenschen zu deren Vorstellungen einer „heilen Welt“. Erstellt mit verschiedenen KI-Bild-Tools, welche sich perfekt für idealisierte, unrealistische und kitschige Darstellungen eignen.
In Form eines Vorhangs: Ein Vorhang hat die Möglichkeit etwas zu verdecken oder auszublenden. Ein Vorhang, den wir selbst öffnen oder schließen können. Ein Moment des Übergangs – zwischen Realität und Wunschwelt.
Kitsch ist zugänglich, ermöglicht Teilhabe und kann empowernt sein
Kitsch hat nicht nur positive psychologisch Aspekte, sondern auch positive soziale Aspekte: Seine universelle und leicht zugängliche Ansprache macht ihn zu einem demokratischen Medium, das kulturelle Barrieren überwindet und Gemeinschaft fördert. Durch die starke emotionale Wirkung von Kitsch entsteht eine Verbindung, die unabhängig von Bildung, Herkunft oder sozialem Status ist. Seine Fähigkeit, Emotionen direkt und unkompliziert anzusprechen, schafft Teilhabe. Kitsch kann außerdem als Symbol für Empowerment und Inklusion verstanden werden. Indem durch ihn bestehende Normen infrage gestellt werden und sich über elitäre Hierarchien hinwegsetzt, schafft er Platz für Vielfalt und das Recht auf unterschiedliche Geschmäcker und Perspektiven.
Um die sozialen Aspekte des Kitsches darzustellen habe ich ein vielseitiges Objekt gewählt. Ein Objekt welches unterschiedliche Gedanken tragen kann und diese kommuniziert. Ein Wandteller, als typisches Kitsch-Medium, ist ideal um Inhalte auf eine subtile Art und Weise zu teilen. Inhaltlich greife ich die positiven sozialen Aspekte des Kitsches auf: Zugänglichkeit, Vielfalt, Teilhabe und Empowerment und kommuniziere sich in typischen „Wandteller-Sprüchen“.
Der Ausgangspunkt dieses Manifests ist die Abwertung, die Kitsch, auch von uns, über Generationen hinweg erfahren hat, eine Abwertung, die, wie wir gelernt haben, unter anderem tief in patriarchalen, klassistischen und eurozentrischen Machtstrukturen verankert ist. Hier liegt die Chance den Kitsch davon zu befreien und ihm eine neue Definition zu geben. Das Manifest ist eine Verteidigung des Kitsches, eine Neudefinition, für ein Wort ohne eindeutige Definition, und ein Aufruf zur Reflexion und Neugestaltung.
Es ist mein Werkzeug, eine relevante Perspektive auf Design für Gestaltende zu eröffnet. Es zeigt, dass Gestaltung politisch ist, dass sie Verantwortung trägt und dass sie durch Emotionen und Vielfalt zu einer Kraft für positive Veränderung werden kann. Dieses Manifest fordert nicht nur dazu auf, dem Kitsch Verständnis zu zeigen, sondern seine genannten positiven Aspekte als Inspiration und Chance zu begreifen. Eine Chance, Ästhetik zu demokratisieren, Emotionen zu feiern und eine Gestaltung zu schaffen, die der Menschlichkeit dient.
Es geht mir darum, dass Gestaltende die eigene Perspektive hinterfragen, neue Sichtweisen zulassen und sich bewusst mit den Mechanismen beschäftigen, die Ausdrucksformen bewerten und ordnen.
Dieses Manifest soll kein fertiges oder statisches Dokument sein, sondern ein Anfang für einen Dialog über Ästhetik, Machtstrukturen, Menschlichkeit und Werte. Ich möchte Gedanken, Gefühle und Gespräche auslösen.
An diesem Punkt ist noch einmal wichtig zu erwähnen, dass es mir um das Aufmerksam-Machen auf die diskriminierenden Gründe der Abwertung und die Ansehen der Chancen des Kitsches geht. Kitsch dient hierbei als Metapher für eine liebevolle, emotionale, positive, einfache Gestaltung. Es ist klar, das Kitsch auch negative Seiten an sich hat. Diese können auch diskutiert werden, aber erst nach dem die diskriminierende Abwertung aufgearbeitet wurden ist. Und bis dahin gilt es den Kitsch zu verstehen, anzusehen und vielleicht von ihm zu lernen:
Was für die meisten oberflächlich, minderwertig oder geschmacklos ist, hat sich als ein unglaublich vielschichtiges und bedeutendes kulturelles Phänomen entpuppt. Besonders wichtig war für mich die Erkenntnis, dass viele der Vorurteile gegenüber Kitsch in tief verwurzelten Machtstrukturen und diskriminierenden Normen begründet sind. Diese Einsicht unterstreicht die dringende Notwendigkeit, bestehende Normen und Werte kritisch zu hinterfragen, um Vielfalt und Inklusion einen Weg zu ebnen. Wenn in der Auseinandersetzung mit dem Kitsch, schon so viel Bedeutung steckt, wo ist eine solche Auseinandersetzung dann außerdem denkbar und notwendig? Müssen wir uns, als Gestalter:innen, bewusster darüber werden, dass selbst die kleinsten, scheinbar unbedeutenden Dinge gesellschaftliche Strukturen widerspiegeln? Und was genau bedeutet das für unsere Praxis? Sind wir uns der Wirkung und der Verantwortung unserer Entscheidungen wirklich bewusst? Wir als Menschen sind nie neutral, so auch nicht als Gestalter:innen und so auch nicht unsere Arbeit. Jeder noch so kleine gestalterische Eingriff kann gesellschaftliche Strukturen widerspie-geln oder beeinflussen.
Für mich liegt die Kraft des Kitsches eben in seinen menschlichen Dimensionen, wie seiner Offenheit, seiner Zugänglichkeit und seiner Fähigkeit, emotionale Verbindungen zu schaffen. Er zeigt, dass Gestaltung nicht immer rational oder intellektuell sein muss, um wirkungsvoll zu sein, manchmal reicht es, einfach ein Lächeln hervorzurufen oder Geborgenheit zu schenken. Diese Qualitäten sind inspirierend, sowohl für die kreative Praxis als auch im alltäglichen Leben.
Die Arbeit an diesem Projekt hat mir einmal mehr bestätigt, dass mein gestalterisches Ziel noch nie darin lag, etwas vollkommen Neues oder Perfektes zu schaffen. Vielmehr geht es mir darum, Fragen zu stellen, Prozesse anzustoßen und Räume zu eröffnen – für Reflexion, Austausch und Weiterentwicklung.
Diese Arbeit ist ein Anfang und kein Ende - ich bin gespannt auf unterschiedliche Meinungen und freue mich, wenn sich ein Raum zum Nachdenken und Diskutieren, zum Hinterfragen und Neudenken ergibt.
🩷 kleine Empfehlung:
Eine Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt zu eben meinem Thema „The Cute Escape. Empathie, Empowerment, Empfindsamkeit“